1. Mose 15,1-6
Der Predigttext für den heutigen 15. Sonntag nach Trinitatis, liebe Gemeinde, steht im Buch Genesis, dem ersten Buch der Bibel, das auch 1. Buch Moses genannt wird. In diesem Buch wird erzählt, wie Gott, nach der Erschaffung der Welt, nach Sündenfall und Sintflut, sich an Abraham wendet. Wer dieser Abraham ist, wird zunächst nicht gesagt. Er erscheint vielmehr plötzlich und unvermittelt in der Erzählung und erst später, im weiteren Verlauf der Geschichte, erfährt man mehr über ihn.
Abraham, so lautet Gottes Auftrag, soll weggehen aus seinem Land und von seiner Familie in ein Land, das Gott ihm zeigen will. Dort soll aus ihm ein großes Volk werden und alle Völker der Erde sollen durch Abraham gesegnet sein. Abraham macht sich auf und gelangt nach einigen Umwegen und Begebenheiten schließlich in das von Gott verheißene Land.
Abraham war alt. Schon als er loszog, soll er 75 Jahre alt gewesen sein. Nun, nachdem etliche weitere Jahre vergangen waren, stellt sich die Frage, wie denn die Verheißung des großen Volkes, das aus Abraham werden soll, in Erfüllung gehen kann, denn Abraham hatte keine Nachkommen. An dieser Stelle setzt der Predigttext für den heutigen Sonntag ein. Es heißt dort:
Nach diesen Geschichten begab es sich, dass zu Abram das Wort des Herrn kam in einer Erscheinung: Fürchte dich nicht, Abram! Ich bin dein Schild und dein Lohn wird sehr groß sein. 2Abram sprach aber: Herr Herr, was willst du mir geben? Ich gehe dahin ohne Kinder und mein Knecht Eliëser aus Damaskus wird Erbe meines Hauses sein. 3Und Abram sprach: Du hast mir keinen Nachkommen gegeben; und siehe, mein Haussklave wird mein Erbe sein. 4Und siehe, der Herr sprach zu ihm: Dieser soll nicht dein Erbe sein, sondern der von deinem Leibe kommen wird, der soll dein Erbe sein. 5Und er führte ihn hinaus und sprach: Sieh gen Himmel und zähle die Sterne; kannst du sie zählen? Und sprach zu ihm: So zahlreich sollen deine Nachkommen sein! 6 Abram glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.
Abrams Lebensweg rundet sich. Vieles hat er erlebt, Höhen und Tiefen durchgemacht, so manchen Strauß ausgefochten und etliche Gefahren bestanden. Nun, alt geworden, fragt er sich: Was bleibt von all dem, wo ist der Sinn des Ganzen, was war wirklich wichtig, so wichtig, dass es jetzt, im Rückblick auf mein Leben Bestand hat? Und er fragt das alles nicht nur sich, sondern er legt Gott diese Fragen vor. Er ist Gottes Ruf gefolgt, hat alles aufgegeben: seine Heimat, die vertrauten Menschen um ihn herum, hat sich darauf eingelassen, noch einmal ganz von vorne anzufangen. Ein Leben mit Gott hat Abraham gelebt, mit allen Höhen und Tiefen. Das hat ihm Sinn und Orientierung gegeben. Was bleibt nun, im Rückblick auf das Ganze?
Auf den ersten Blick sieht Abrahams Weg tatsächlich aufregend aus. Aufbrechen in neue Gefilde, neue Länder kennenlernen, sich ein Leben in einer neuen Kultur aufbauen – was kann interessanter und inspirierender sein? Wer zum ersten Mal nach Rom kommt, kann das ohne Mühe nachempfinden. So viel Geschichte und Kultur in einer Stadt, von der Antike bis in die Gegenwart – man kommt aus dem Staunen kaum heraus. Dazu italienisches Leben und mediterrane Küche! Kommt man aus Deutschland oder der Schweiz hierher, hat das seine großen Reize. Und wenn man hier eine Woche oder sogar mehrere Monate verbringt, die Stadt und ihre Geschichte studiert, die ja gerade auch eine ganz besondere Geschichte des christlichen Glaubens und der christlichen Kirche ist, dann ist das ein überaus eindrückliches und prägendes Erlebnis.
Das mag schon anders sein, wenn man seit vielen Jahren hier lebt. Vielleicht in jungen Jahren hergekommen ist, sich eine Existenz aufgebaut und einen großen Teil des Lebens hier verbracht hat. Wenn man hier vielleicht alt geworden ist und sich nun fragt: Was bleibt, wenn der Lebenskreis sich schließt? Was war gut, was war wichtig? Waren alle Entscheidungen richtig, die ich getroffen habe? Bin ich gut geführt worden durch Höhen und Tiefen? Hat sich alles zum Besten gefügt? War mein Leben gesegnet?
Für Abraham gehörte zum Segen, den Gott ihm zugesagt hatte, die Zusage einer großen Nachkommenschaft. Sollte es eine unerfüllte Verheißung bleiben? So fragte er sich nun im Alter. War alles umsonst, der Aufbruch, all die Mühsal, die vielen Entbehrungen, das Dasein in der Fremde? Für Abraham hing viel, ja hing alles daran, dass sich Gottes Zusage erfüllen würde. Was, Herr, was willst du mir geben? So fragt er Gott. Und in dieser Frage klingt mit: Was hast du mit mir vor? Was hält die Erfahrungen meines Lebens, die Sehnsüchte und unerfüllten Wünsche, was hält das alles zusammen – und wie soll das alles enden, jetzt, wo die meiste Zeit meines Lebens hinter mir liegt? Was, Herr, was hast du mit mir vor, was willst du mir geben? All das liegt in dem besorgten Verweis Abrahams darauf, dass er keine Kinder hat.
Das mag aus unserer heutigen Perspektive erstaunlich und befremdlich klingen. Man kann sein Leben auch als erfüllt betrachten, wenn man keine eigenen Nachkommen hat. Erfülltes Leben kann sich auch in anderem zeigen, es muss nicht unbedingt der eigene leibliche Nachwuchs sein. Für Abraham, der in einer anderen Zeit und Kultur gelebt hat, war das anders. Für ihn war Nachkommenschaft gleichbedeutend mit sichtbarem Segen Gottes. Kinderlosigkeit dagegen war nicht nur ein persönliches Unglück, sondern konnte sogar als Strafe Gottes wahrgenommen werden. Eine große Familie war Reichtum, Kinderlosigkeit dagegen Armut und sogar Schande. Heute mag das manchmal geradezu andersherum sein. Für Abraham aber war es wichtig, dass sich Gottes Zusage der großen Nachkommenschaft erfüllt.
Der Predigttext lässt uns darum an einem sensiblen, einem zentralen Dialog zwischen Gott und Abraham teilhaben. Abraham hatte nicht einen Moment daran gezweifelt, dass er sich Gottes Führung anvertrauen kann; dass Gott ihn nicht fallen lassen wird; dass er unverbrüchlich zu seinen Zusagen stehen würde. Jetzt aber kamen ihm Zweifel. Wie soll das gehen, jetzt, wo Sara und er selbst alt geworden waren? Sinnfragen, wenn sich der Lebenskreis rundet, sind es, die Abraham Gott stellt.
Und Gott erneuert seine Zusage: Von deinem leiblichen Sohn wird deine Nachkommenschaft kommen. Zahlreich wird sie sein, wie die Sterne des Himmels. Und dann heißt es ganz lapidar: Abram glaubte dem Herrn. In der Situation von Anfechtung und Zweifels vertraut Abraham erneut darauf, dass Gott seine Zusage wahr machen wird. Gegen allen Augenschein und wider alle Vernunft. Das ist die Pointe des Textes. Ebenso simpel wie erstaunlich.
Abrams Glaube ist zum Urbild des jüdischen und des christlichen Glaubens geworden. Nicht zuletzt darum, weil dieser Glaube noch in einer weiteren, geradezu dramatischen Situation auf die Probe gestellt wurde. Wir kennen die Geschichte, dass Gott von Abram etwas später sogar verlangte, dass er seinen einzigen, so lange ersehnten und geliebten Sohn opfern solle. Eine schwierige, eine grausame, eine erschütternde Geschichte. Ihre Dramatik wird besonders deutlich, wenn man sich die bildlichen Darstellungen anschaut, zum Beispiel das überaus eindrückliche Gemälde von Caravaggio in den Uffizien in Florenz. Abraham hat schon die eine Hand mit dem Messer erhoben, mit der anderen Hand hält er den Kopf des gequält schauenden Isaak nieder. Ein Engel hält in letzter Minute die Hand mit dem Messer fest und hindert Abraham daran, Isaak zu töten. Eine Glaubensprüfung, wie sie härter und grausamer nicht sein kann. So hart, dass man wünschen mag, dieser Text stünde nicht in der Bibel. Das eigene Kind opfern als Beweis des Gehorsams? Warum mutet Gott Abraham das zu? Man mag die Geschichte symbolisch oder mythologisch erklären, aber das ändert nichts an ihrer Härte und Grausamkeit.
Die Geschichte von der Opferung oder Bindung Isaaks wurde in jüdischen Texten und auch im Neuen Testament oftmals als der größte Beweis von Abrahams Glauben angesehen. Wo, wenn nicht hier, hat Abraham unter Beweis gestellt, dass sein Vertrauen zu Gott unendlich groß ist? Auch Paulus sah in Abraham denjenigen der Gott unbedingt und ohne jede Einschränkung vertraut hat. Für Paulus war dabei wichtig, dass dieser Glaube Abraham von Gott als Gerechtigkeit angerechnet wurde. Der letzte Satz unseres Predigttextes: Abraham glaubte Gott und das rechnete der ihm zur Gerechtigkeit, war für Paulus darum geradezu der Schlüsselsatz über den Glauben als rückhaltloses, unbedingtes Vertrauen zu Gott. So wie Abrahams Glaube muss darum auch der christliche Glaube sein.
Was aber ist dieser Glaube für uns? Wie sieht ein rückhaltloses Sich-Verlassen auf Gott aus? Vor so schwere Glaubensprüfungen wie Abraham werden wir zum Glück in der Regel nicht gestellt. Glaube als bedingungsloses Vertrauen ist aber natürlich auch keine Aufforderung zur Gleichgültigkeit oder Verantwortungslosigkeit, nach dem Motto: „Gott wird es schon richten“, er wird sich schon um die Probleme dieser Welt kümmern. Der Text aus dem Matthäusevangelium, den wir vorhin gehört haben fordert dazu auf, Gott die Sorge um Nahrung und Kleidung zu überlassen. Auch der 1. Petrusbrief spricht davon, dass wir alle Sorge auf Gott werfen sollen. Diese Texte sind aber natürlich nicht so gemeint, als sollten wir Christen uns nicht engagiert und tatkräftig in diese Welt einbringen. Der Glaube Abrahams ist vielmehr Vorbild für eine Lebenshaltung, die ihren Grund und ihre Orientierung in der Überzeugung findet, dass Gott unseren Lebensweg lenkt, dass er für uns sorgt, dass er uns gerade auch in Anfechtung und Gefahr nicht alleine lässt. Dass ich selbst tun kann und soll, was in meiner Macht steht, damit es in der Welt gerecht und friedvoll zugeht. Dass ich aber auch scheitern kann und darf und mein Leben deshalb nicht verwirkt oder sinnlos geworden ist. Der Glaube Abrahams ist das Urbild dafür, sein Leben auf Gott zu gründen, der größer ist als alle unsere Bemühungen, die Welt zu beherrschen und zu ordnen. Unsere eigenen Versuche, die Erde lebensfreundlich zu gestalten und sie zu bewahren, sind ambivalent, sie sind oft halbherzig und erfüllen nicht dem, was eigentlich nötig wäre. Der Glaube den die Bibel bezeugt und für den Abraham als Urbild steht, ist darum nicht zuletzt eine Entlastung. Eine Entlastung von der Vorstellung, das Heil dieser Welt läge in der Hand von uns Menschen. Eine Entlastung davon, dass mein Leben nur dann gelungen wäre, wenn mir alles glückt, ich mir Anerkennung und Bewunderung erwerbe. Eine Entlastung davon, dass gesegnetes Leben sich an äußerem Erfolg ablesen ließe. Abraham hat sein Leben in Gott verankert. Er hat darauf vertraut, dass es gut für ihn ist, sich Gottes Führung anzuvertrauen, auch wenn er nicht wusste, was genau ihn erwarten, wohin Gott ihn führen würde. Der simple Satz „Abraham glaubte dem Herrn und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit“ ist darum die Zusage, dass wir angenommen sind bei Gott, mit all unseren Unvollkommenheiten und Schwächen.
Und auch das kann man an Abraham und an unserem heutigen Predigttext sehen: Glaube schließt ein, dass ich zweifeln darf. Dass ich mit Gott in einen Disput eintreten und ihn fragen kann: Wie soll es weitergehen, was soll aus meinem Leben werden? Wann lässt Du mich wissen, wohin mich die Wege führen, die du mich leitest?
Situationen des Zweifels wie Abraham sie durchlebt hat, kennen wir aus unserem eigenen Leben. Werde ich das Studium gut schaffen? Wie wird es danach weitergehen? Werde ich eine Arbeit finden, die mein Leben erfüllt, auf der mich einbringen kann mit dem, was mir wichtig ist? Werde ich einen Partner oder eine Partnerin finden, die mit mir mein Leben verbringen will, auf den oder die ich mich verlassen kann und mit dem oder der ich alt werden möchte? Wie wird die letzte Lebensphase aussehen? Wenn Freunde sterben, vielleicht der Lebenspartner, wenn es einsamer wird um mich und der Radius kleiner wird, weil das Laufen und das Reisen schwerer fallen – was trägt mich dann, was gibt mir Halt, woran kann ich mich halten, wenn vieles Gewohnte nicht mehr ist?
Das erste Wort, das Gott zu Abraham spricht, noch bevor der seine Sorgen geäußert hat, lautet: Fürchte dich nicht! Ich bin dein Schild – ich werde dich tragen, dich schützen und bewahren, was immer dir begegnet und wohin immer deine Wege dich führen. Fürchte dich nicht – dieser Satz, von Gott gesprochen, ist stärker als all unsere Ängste und Sorgen. Er ist die im eigentlichen Sinn un-bedingte, nämlich an keine Bedingung und keine Vorleistung geknüpfte Zusage Gottes, uns beizustehen, was immer uns zustoßen mag und wovor immer wir uns ängstigen mögen.
Der Glaube, von dem die Bibel spricht, ist dieses Sich-Festmachen darin, was wir von Gott erhoffen. Er ist die Überzeugung, dass Gottes Zuwendung unverbrüchlich ist, seine Herrschaft weiter reicht als alle irdischen Gewalten. Der Glaube, aus dem Abraham gelebt hat, von dem Paulus spricht und den die biblischen Texte insgesamt bezeugen – dieser Glaube vermag uns auch heute zu tragen. Er gibt unserem Leben Halt, Zuversicht und Orientierung bei allem, was auf uns zukommen mag. Amen.
1. Mose 15,1-6
Der Predigttext für den heutigen 15. Sonntag nach Trinitatis, liebe Gemeinde, steht im Buch Genesis, dem ersten Buch der Bibel, das auch 1. Buch Moses genannt wird. In diesem Buch wird erzählt, wie Gott, nach der Erschaffung der Welt, nach Sündenfall und Sintflut, sich an Abraham wendet. Wer dieser Abraham ist, wird zunächst nicht gesagt. Er erscheint vielmehr plötzlich und unvermittelt in der Erzählung und erst später, im weiteren Verlauf der Geschichte, erfährt man mehr über ihn.
Abraham, so lautet Gottes Auftrag, soll weggehen aus seinem Land und von seiner Familie in ein Land, das Gott ihm zeigen will. Dort soll aus ihm ein großes Volk werden und alle Völker der Erde sollen durch Abraham gesegnet sein. Abraham macht sich auf und gelangt nach einigen Umwegen und Begebenheiten schließlich in das von Gott verheißene Land.
Abraham war alt. Schon als er loszog, soll er 75 Jahre alt gewesen sein. Nun, nachdem etliche weitere Jahre vergangen waren, stellt sich die Frage, wie denn die Verheißung des großen Volkes, das aus Abraham werden soll, in Erfüllung gehen kann, denn Abraham hatte keine Nachkommen. An dieser Stelle setzt der Predigttext für den heutigen Sonntag ein. Es heißt dort:
Nach diesen Geschichten begab es sich, dass zu Abram das Wort des Herrn kam in einer Erscheinung: Fürchte dich nicht, Abram! Ich bin dein Schild und dein Lohn wird sehr groß sein. 2Abram sprach aber: Herr Herr, was willst du mir geben? Ich gehe dahin ohne Kinder und mein Knecht Eliëser aus Damaskus wird Erbe meines Hauses sein. 3Und Abram sprach: Du hast mir keinen Nachkommen gegeben; und siehe, mein Haussklave wird mein Erbe sein. 4Und siehe, der Herr sprach zu ihm: Dieser soll nicht dein Erbe sein, sondern der von deinem Leibe kommen wird, der soll dein Erbe sein. 5Und er führte ihn hinaus und sprach: Sieh gen Himmel und zähle die Sterne; kannst du sie zählen? Und sprach zu ihm: So zahlreich sollen deine Nachkommen sein! 6 Abram glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.
Abrams Lebensweg rundet sich. Vieles hat er erlebt, Höhen und Tiefen durchgemacht, so manchen Strauß ausgefochten und etliche Gefahren bestanden. Nun, alt geworden, fragt er sich: Was bleibt von all dem, wo ist der Sinn des Ganzen, was war wirklich wichtig, so wichtig, dass es jetzt, im Rückblick auf mein Leben Bestand hat? Und er fragt das alles nicht nur sich, sondern er legt Gott diese Fragen vor. Er ist Gottes Ruf gefolgt, hat alles aufgegeben: seine Heimat, die vertrauten Menschen um ihn herum, hat sich darauf eingelassen, noch einmal ganz von vorne anzufangen. Ein Leben mit Gott hat Abraham gelebt, mit allen Höhen und Tiefen. Das hat ihm Sinn und Orientierung gegeben. Was bleibt nun, im Rückblick auf das Ganze?
Auf den ersten Blick sieht Abrahams Weg tatsächlich aufregend aus. Aufbrechen in neue Gefilde, neue Länder kennenlernen, sich ein Leben in einer neuen Kultur aufbauen – was kann interessanter und inspirierender sein? Wer zum ersten Mal nach Rom kommt, kann das ohne Mühe nachempfinden. So viel Geschichte und Kultur in einer Stadt, von der Antike bis in die Gegenwart – man kommt aus dem Staunen kaum heraus. Dazu italienisches Leben und mediterrane Küche! Kommt man aus Deutschland oder der Schweiz hierher, hat das seine großen Reize. Und wenn man hier eine Woche oder sogar mehrere Monate verbringt, die Stadt und ihre Geschichte studiert, die ja gerade auch eine ganz besondere Geschichte des christlichen Glaubens und der christlichen Kirche ist, dann ist das ein überaus eindrückliches und prägendes Erlebnis.
Das mag schon anders sein, wenn man seit vielen Jahren hier lebt. Vielleicht in jungen Jahren hergekommen ist, sich eine Existenz aufgebaut und einen großen Teil des Lebens hier verbracht hat. Wenn man hier vielleicht alt geworden ist und sich nun fragt: Was bleibt, wenn der Lebenskreis sich schließt? Was war gut, was war wichtig? Waren alle Entscheidungen richtig, die ich getroffen habe? Bin ich gut geführt worden durch Höhen und Tiefen? Hat sich alles zum Besten gefügt? War mein Leben gesegnet?
Für Abraham gehörte zum Segen, den Gott ihm zugesagt hatte, die Zusage einer großen Nachkommenschaft. Sollte es eine unerfüllte Verheißung bleiben? So fragte er sich nun im Alter. War alles umsonst, der Aufbruch, all die Mühsal, die vielen Entbehrungen, das Dasein in der Fremde? Für Abraham hing viel, ja hing alles daran, dass sich Gottes Zusage erfüllen würde. Was, Herr, was willst du mir geben? So fragt er Gott. Und in dieser Frage klingt mit: Was hast du mit mir vor? Was hält die Erfahrungen meines Lebens, die Sehnsüchte und unerfüllten Wünsche, was hält das alles zusammen – und wie soll das alles enden, jetzt, wo die meiste Zeit meines Lebens hinter mir liegt? Was, Herr, was hast du mit mir vor, was willst du mir geben? All das liegt in dem besorgten Verweis Abrahams darauf, dass er keine Kinder hat.
Das mag aus unserer heutigen Perspektive erstaunlich und befremdlich klingen. Man kann sein Leben auch als erfüllt betrachten, wenn man keine eigenen Nachkommen hat. Erfülltes Leben kann sich auch in anderem zeigen, es muss nicht unbedingt der eigene leibliche Nachwuchs sein. Für Abraham, der in einer anderen Zeit und Kultur gelebt hat, war das anders. Für ihn war Nachkommenschaft gleichbedeutend mit sichtbarem Segen Gottes. Kinderlosigkeit dagegen war nicht nur ein persönliches Unglück, sondern konnte sogar als Strafe Gottes wahrgenommen werden. Eine große Familie war Reichtum, Kinderlosigkeit dagegen Armut und sogar Schande. Heute mag das manchmal geradezu andersherum sein. Für Abraham aber war es wichtig, dass sich Gottes Zusage der großen Nachkommenschaft erfüllt.
Der Predigttext lässt uns darum an einem sensiblen, einem zentralen Dialog zwischen Gott und Abraham teilhaben. Abraham hatte nicht einen Moment daran gezweifelt, dass er sich Gottes Führung anvertrauen kann; dass Gott ihn nicht fallen lassen wird; dass er unverbrüchlich zu seinen Zusagen stehen würde. Jetzt aber kamen ihm Zweifel. Wie soll das gehen, jetzt, wo Sara und er selbst alt geworden waren? Sinnfragen, wenn sich der Lebenskreis rundet, sind es, die Abraham Gott stellt.
Und Gott erneuert seine Zusage: Von deinem leiblichen Sohn wird deine Nachkommenschaft kommen. Zahlreich wird sie sein, wie die Sterne des Himmels. Und dann heißt es ganz lapidar: Abram glaubte dem Herrn. In der Situation von Anfechtung und Zweifels vertraut Abraham erneut darauf, dass Gott seine Zusage wahr machen wird. Gegen allen Augenschein und wider alle Vernunft. Das ist die Pointe des Textes. Ebenso simpel wie erstaunlich.
Abrams Glaube ist zum Urbild des jüdischen und des christlichen Glaubens geworden. Nicht zuletzt darum, weil dieser Glaube noch in einer weiteren, geradezu dramatischen Situation auf die Probe gestellt wurde. Wir kennen die Geschichte, dass Gott von Abram etwas später sogar verlangte, dass er seinen einzigen, so lange ersehnten und geliebten Sohn opfern solle. Eine schwierige, eine grausame, eine erschütternde Geschichte. Ihre Dramatik wird besonders deutlich, wenn man sich die bildlichen Darstellungen anschaut, zum Beispiel das überaus eindrückliche Gemälde von Caravaggio in den Uffizien in Florenz. Abraham hat schon die eine Hand mit dem Messer erhoben, mit der anderen Hand hält er den Kopf des gequält schauenden Isaak nieder. Ein Engel hält in letzter Minute die Hand mit dem Messer fest und hindert Abraham daran, Isaak zu töten. Eine Glaubensprüfung, wie sie härter und grausamer nicht sein kann. So hart, dass man wünschen mag, dieser Text stünde nicht in der Bibel. Das eigene Kind opfern als Beweis des Gehorsams? Warum mutet Gott Abraham das zu? Man mag die Geschichte symbolisch oder mythologisch erklären, aber das ändert nichts an ihrer Härte und Grausamkeit.
Die Geschichte von der Opferung oder Bindung Isaaks wurde in jüdischen Texten und auch im Neuen Testament oftmals als der größte Beweis von Abrahams Glauben angesehen. Wo, wenn nicht hier, hat Abraham unter Beweis gestellt, dass sein Vertrauen zu Gott unendlich groß ist? Auch Paulus sah in Abraham denjenigen der Gott unbedingt und ohne jede Einschränkung vertraut hat. Für Paulus war dabei wichtig, dass dieser Glaube Abraham von Gott als Gerechtigkeit angerechnet wurde. Der letzte Satz unseres Predigttextes: Abraham glaubte Gott und das rechnete der ihm zur Gerechtigkeit, war für Paulus darum geradezu der Schlüsselsatz über den Glauben als rückhaltloses, unbedingtes Vertrauen zu Gott. So wie Abrahams Glaube muss darum auch der christliche Glaube sein.
Was aber ist dieser Glaube für uns? Wie sieht ein rückhaltloses Sich-Verlassen auf Gott aus? Vor so schwere Glaubensprüfungen wie Abraham werden wir zum Glück in der Regel nicht gestellt. Glaube als bedingungsloses Vertrauen ist aber natürlich auch keine Aufforderung zur Gleichgültigkeit oder Verantwortungslosigkeit, nach dem Motto: „Gott wird es schon richten“, er wird sich schon um die Probleme dieser Welt kümmern. Der Text aus dem Matthäusevangelium, den wir vorhin gehört haben fordert dazu auf, Gott die Sorge um Nahrung und Kleidung zu überlassen. Auch der 1. Petrusbrief spricht davon, dass wir alle Sorge auf Gott werfen sollen. Diese Texte sind aber natürlich nicht so gemeint, als sollten wir Christen uns nicht engagiert und tatkräftig in diese Welt einbringen. Der Glaube Abrahams ist vielmehr Vorbild für eine Lebenshaltung, die ihren Grund und ihre Orientierung in der Überzeugung findet, dass Gott unseren Lebensweg lenkt, dass er für uns sorgt, dass er uns gerade auch in Anfechtung und Gefahr nicht alleine lässt. Dass ich selbst tun kann und soll, was in meiner Macht steht, damit es in der Welt gerecht und friedvoll zugeht. Dass ich aber auch scheitern kann und darf und mein Leben deshalb nicht verwirkt oder sinnlos geworden ist. Der Glaube Abrahams ist das Urbild dafür, sein Leben auf Gott zu gründen, der größer ist als alle unsere Bemühungen, die Welt zu beherrschen und zu ordnen. Unsere eigenen Versuche, die Erde lebensfreundlich zu gestalten und sie zu bewahren, sind ambivalent, sie sind oft halbherzig und erfüllen nicht dem, was eigentlich nötig wäre. Der Glaube den die Bibel bezeugt und für den Abraham als Urbild steht, ist darum nicht zuletzt eine Entlastung. Eine Entlastung von der Vorstellung, das Heil dieser Welt läge in der Hand von uns Menschen. Eine Entlastung davon, dass mein Leben nur dann gelungen wäre, wenn mir alles glückt, ich mir Anerkennung und Bewunderung erwerbe. Eine Entlastung davon, dass gesegnetes Leben sich an äußerem Erfolg ablesen ließe. Abraham hat sein Leben in Gott verankert. Er hat darauf vertraut, dass es gut für ihn ist, sich Gottes Führung anzuvertrauen, auch wenn er nicht wusste, was genau ihn erwarten, wohin Gott ihn führen würde. Der simple Satz „Abraham glaubte dem Herrn und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit“ ist darum die Zusage, dass wir angenommen sind bei Gott, mit all unseren Unvollkommenheiten und Schwächen.
Und auch das kann man an Abraham und an unserem heutigen Predigttext sehen: Glaube schließt ein, dass ich zweifeln darf. Dass ich mit Gott in einen Disput eintreten und ihn fragen kann: Wie soll es weitergehen, was soll aus meinem Leben werden? Wann lässt Du mich wissen, wohin mich die Wege führen, die du mich leitest?
Situationen des Zweifels wie Abraham sie durchlebt hat, kennen wir aus unserem eigenen Leben. Werde ich das Studium gut schaffen? Wie wird es danach weitergehen? Werde ich eine Arbeit finden, die mein Leben erfüllt, auf der mich einbringen kann mit dem, was mir wichtig ist? Werde ich einen Partner oder eine Partnerin finden, die mit mir mein Leben verbringen will, auf den oder die ich mich verlassen kann und mit dem oder der ich alt werden möchte? Wie wird die letzte Lebensphase aussehen? Wenn Freunde sterben, vielleicht der Lebenspartner, wenn es einsamer wird um mich und der Radius kleiner wird, weil das Laufen und das Reisen schwerer fallen – was trägt mich dann, was gibt mir Halt, woran kann ich mich halten, wenn vieles Gewohnte nicht mehr ist?
Das erste Wort, das Gott zu Abraham spricht, noch bevor der seine Sorgen geäußert hat, lautet: Fürchte dich nicht! Ich bin dein Schild – ich werde dich tragen, dich schützen und bewahren, was immer dir begegnet und wohin immer deine Wege dich führen. Fürchte dich nicht – dieser Satz, von Gott gesprochen, ist stärker als all unsere Ängste und Sorgen. Er ist die im eigentlichen Sinn un-bedingte, nämlich an keine Bedingung und keine Vorleistung geknüpfte Zusage Gottes, uns beizustehen, was immer uns zustoßen mag und wovor immer wir uns ängstigen mögen.
Der Glaube, von dem die Bibel spricht, ist dieses Sich-Festmachen darin, was wir von Gott erhoffen. Er ist die Überzeugung, dass Gottes Zuwendung unverbrüchlich ist, seine Herrschaft weiter reicht als alle irdischen Gewalten. Der Glaube, aus dem Abraham gelebt hat, von dem Paulus spricht und den die biblischen Texte insgesamt bezeugen – dieser Glaube vermag uns auch heute zu tragen. Er gibt unserem Leben Halt, Zuversicht und Orientierung bei allem, was auf uns zukommen mag. Amen.