Galater 3, 26-29

Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus.

Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche,

hier ist nicht Sklave noch Freier,

hier ist nicht Mann noch Frau;

denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.

Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr ja Abrahams Nachkommen

und nach der Verheißung Erben.

 

Liebe Gemeinde!

 

Der Stadt Rom sieht man ihren Glauben an. Das haben Sie, liebe Studierende schon in wenigen Wochen gemerkt; das wissen Sie, liebe Gemeindeglieder, schon lange.

Fast 2000 Jahre Christentum sind hier im Stadtbild unübersehbar eingeprägt. Unzählbar viele Kirchen und Kapellen, viele davon künstlerisch von Weltrang, hunderte christliche Kunstwerke, zu denen Tausende Menschen strömen, Bilder und Madonnen im Straßenbild.

Ja, dieser Stadt sieht man den christlichen Glauben an – auch wenn es hinter den Fassaden vielleicht nicht besser aussieht als in anderen Städten der Welt, auch wenn – wie viele Priester sagen – die Römer nicht katholischer sind als andere Menschen auch.

Aber doch: Auch die asiatische Touristin, die den christlichen Glauben nicht selbst kennt, auch der nordeuropäische Atheist ohne eigenes religiöses Interesse wird feststellen müssen: Diese Stadt wurde vom christlichen Glauben geprägt.

Der Stadt Rom sieht man ihren Glauben an.

 

Wie ist das mit uns als Personen?

Sieht man und den Glauben auch an?

Stadtbild und Menschenbild sind verschiedene Dinge, aber die Frage soll heute doch erlaubt sein:

Sieht man uns den Glauben an? Merkt man – auch wenn man uns nur flüchtig begegnet – etwas von unserer geistlichen Prägung?

Sind wir sogar – wie Rom für die Touristen – anziehend und interessant?

Hat der Glaube uns geprägt, so, dass man etwas davon etwas merkt?

 

„Die verwandelnde Kraft des Glaubens“ ist das Thema dieses Sonntags heute. Hat er uns verwandelt?

„Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ ist der Vers dieses Sonntags. Hat der Glaube ins uns schon etwas überwunden und verwandelt?

 

Wir gehen davon aus, dass der Glaube nicht nur ein Zusatz, eine Verzierung unseres Lebens ist. Wir gehen doch davon aus, dass der Glaube eine Kraft ist, die alles verändert, die alles auf dem Kopf stellen kann.

Aber ist das so in unserem Leben?

Wenn ich an meine eigene brave bürgerliche Biographie von Schule, Studium und Beruf denke, dann fallen mir eigentlich wenige spektakuläre Brüche und Veränderungen ein!

Die Frau aus unserem Evangelium heute, die hat einen handfesten Skandal ausgelöst, als sie sich als Nicht-Jüdin an Jesus herandrängte. Die hat in ihrem Glauben eine echte Schwelle überschritten. Sie kam trotz religiöser Hürden an Jesus heran und ihr Anliegen wurde gehört.

„Frau, dein Glaube ist groß!“ hat Jesus anerkannt.

Ist unser Vertrauen in Jesus auch so groß, dass es Hindernisse und Grenzen überschreiten würde? Oder würden wir es bei der ersten Irritation relativieren und beim nächsten großen Zweifel verlieren?

 

Glaube muss groß sein, stärker als Zweifel und Hürden. Das sehen wir an dieser großartigen kanaanäischen Frau.

Glaube muss groß und stärker sein als die Irritationen.

Wer beim ersten schlechten Pfarrer oder bei der ersten schwierigen Religionslehrerin aufgibt und den Glauben hinschmeißt, hat viel verloren.

Glaube muss groß und stärker sein als die Irritationen.

 

Es ist vielleicht der einzige Gewinn unserer glaubensarmen Zeit, dass wir das wieder lernen müssen. Denn einfach Mitschwimmen mit der Mehrheit ist es nicht mehr.

Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

Unser Glaube muss uns über diese Welt heben, und uns nicht in ihr aufgehen lassen.

Gehet nicht auf in den Sorgen dieser Welt, hat Jesus einmal gesagt, sondern sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit.

 

Unser Glaube soll uns über die Realitäten der Welt hinausheben; und das macht den Unterschied.

Unser Glaube soll uns über die Krankheiten unseres Körpers, unsere Frustrationen und Depressionen herausheben, über die Demütigungen und Zurückweisungen, die wir einstecken müssen, über die Machtlosigkeit, die wir gegenüber dem Welt-Klima spüren.

 

Wie passiert das? Wie kann man das machen? Kann man das überhaupt machen?

 

Paulus schafft es, in ganz wenigen, aber wie immer gehaltvollen Sätzen zu sagen, wie das geht.

Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus.

Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche,

hier ist nicht Sklave noch Freier,

hier ist nicht Mann noch Frau;

denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.

 

Glaube ist kein Zusatz, keine Denkfigur, auch kein selbstgemachter Trost.

Glaube ist eine völlig neue Lebensgrundlage.

Die Basis unseres Lebens ist nicht unser biologisches Leben, nicht unsere Leistung, nicht unsere Abstammung, ja nicht einmal das bloße Geschaffensein durch Gott, den Schöpfer.

Die Basis unseres Lebens als Kinder Gottes ist die Beziehung zu Jesus Christus.

Glauben heißt, sein Leben ganz auf diese Basis zu stellen.

„Der Grund, da ich mich gründe, ist Christus und sein Blut.“, hat Paul Gerhardt gesagt (EG 351,3).

Um diese Gründung, um diese Grundlegung, um diese Verankerung unseres Lebens geht es.

Bauen wir auf unser Aussehen, auf unsere Klugheit, auf unsere Beziehungen, auf unserem familiären Background?

Oder bauen wir ganz und gar auf Jesus?

Es ist ganz faszinierend, dass Paulus hier, wenn es um diese Grundlegung unseres Lebens in Christus geht, gar nicht zwischen Glaube und Taufe unterscheidet (wie wir das in der Theologie so oft tun). Paulus denkt beides zusammen.

Im Glauben ergreift man Christus, und in der Taufe wird diese Lebensgründung sichtbar und spürbar.

Und wo dieses Leben nicht mehr auf – ich sage einmal – „weltlichen“ Gegebenheiten beruht, sondern einzig und allein auf der Annahme durch Jesus, da verschwimmen die weltlichen Gegebenheiten, da treten sie einen Schritt zurück.

Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier,

hier ist nicht Mann noch Frau.

Nation, Stand, Geschlecht. All das wird nicht aufgelöst, aber es tritt einen Schritt zurück.

Bemerkenswert, dass Paulus gerade diese drei Gegebenheiten nennt!

Keiner von uns konnte sich aussuchen, in welchem Land er geboren wird, in welche Familie hinein und in welchen Körper.

Alle drei Dinge finden wir vor. Und ein großer Teil unserer Lebensmühe besteht darin, mit diesen Gegebenheiten umzugehen – indem wir uns in Rollen einfügen, aber auch neue Rollen entwickeln.

Paulus leugnet nicht die Gegebenheiten unseres Lebens. Er träumt nicht von einer klassenlosen uniformen Gesellschaft.

Aber er lässt diese vorfindlichen Gegebenheiten einen Schritt zurücktreten.

Für das Zusammenleben in der Kirche, aber und gerade auch für unser Ego!

Bau nicht darauf, dass du eine Frau bist, oder dass du Italiener bist oder dass du zur Bildungselite gehörst! Geh mit alledem verantwortlich um!

Aber bau darauf, dass du zu Jesus gehörst, dass du dich wie diese kanaanäische Frau an Jesus klammerst.

Das Erbe, von dem Paulus spricht, hängt daran.

„Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr […] Erben.“

Wir erben den Himmel nicht, weil wir Deutsche oder Italiener sind, Frauen oder Männer, mit gutem oder schwierigem familiären Hintergrund.

Damit erben wir alle möglichen weltlichen Vorteile, Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen, aber nicht dem Himmel!

Den erben wir, weil wir mit dem einzigen Sohn Gottes miterben.

 

Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

Ja, das stimmt, immer dann, wenn wir nicht bei den weltlichen Gegebenheiten (im echten Sinne des Wortes) stehen bleiben.

Unser Leben findet sich unter weltlichen Gegebenheiten vor, aber es geht nicht darin auf!

Wir finden uns gesund oder krank, erfolgreich oder frustriert, beliebt oder einsam vor, aber das alles definiert uns nicht, und das wird nicht immer so bleiben.

Was uns ausmacht, ist, dass Gott uns anschaut und Jesus uns haben will.

Wer das verinnerlicht hat, wird nicht nur einen wahnsinnig entlastenden Glauben erleben, sondern auch einen, der Mauern überspringt.

 

Sieht man uns den Glauben an?

Paulus hat da noch eine gefährliche Definition von Taufe gegeben.

„Alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.“

Ist der Glaube dann doch so ein äußerliches Gewand, das wir uns überziehen? Ist Taufe etwas rein Äußerliches, das nur von außen an uns herantritt?

Ist Glaube ein frommer Deckmantel, unter dem man viel Falsches und Schlechtes verstecken kann – Hauptsache, der Eindruck nach außen stimmt?

 

Das kann es nicht sein!

Christus anziehen: Das bedeutet, sich selbst ganz in diesem schützenden Mantel zu bergen und alle Hoffnung auf diesen Schutz zu setzen.

Christus anziehen: Das heißt in evangelischer Zuspitzung: Sich vor Gott (und nicht vor der Welt) in Jesu Kleidern zu präsentieren, und nicht die eigene, vermeintlich weiße Weste zu präsentieren, sondern sich in Christi Mantel einzuhüllen, der mit seiner Perfektion unser Stückwerk bedeckt.

Das ist Rechtfertigung. In Gottes Augen um Jesu willen als perfekt angesehen zu werden.

„Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid. Damit will ich vor Gott bestehn, wenn ich zum Himmel werd eingehn.“ (EG 350)

 

Christus anziehen: Das ist kein oberflächliches Überdecken, kein Trick, keine Uniformierung.

Das ist die existentielle Entscheidung, was in meinem Leben zählen soll:

Nationalität, Stand und Geschlecht, Aussehen, Erfolg und Gesundheit oder eben die bedingungslose Annahme aus reiner Gnade.

 

Dieses Gewand ist keine Verkleidung, sondern eine Veränderung.

Hier stimmt voll und ganz und in einem höheren Sinne, was Gottfried Keller sagte: „Kleider machen Leute.“

Wer sich in Christus birgt, verkleidet sich nicht, sondern verändert sich.

Wer sich in Christus birgt, kleidet sich nicht nach der jeweiligen Mode oder setzt sich in Konkurrenz von anderen ab.

Wer sich in Christus birgt, schlüpft unter das eine Gewand, das alle schützt.

Da ist kein Platz mehr für Überlegenheitsgefühle – sei es wegen Nationalität, Herkunft oder Geschlecht. Da ist kein Platz mehr für isolierte Selbstverwirklichung und Egoismus.

Da sind alle, so verschieden sie auch sind, aufgehoben.

Was uns Paulus von der Taufe her sagt, wird auch im Heiligen Abendmahl deutlich.

Wir stehen da als ganz verschiedene Personen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund, unterschiedlichem Aussehen und unterschiedlicher Stimmung aber wir bekommen alle die vollkommen gleiche Gabe, ein einfaches Stück Brot und den gleichen Wein, und damit den einen gleichen Christus.

 

Das ist Einheit (im Unterschied zur Gleichmacherei).

Unser Glaube muss nicht uniform und plakativ sichtbar sein.

Aber er muss gut begründet sein, auf gutem Grund stehen.

Und damit sind wir wieder bei der Schönheit der Stadt Rom, und dem, was wahre Romkenner von schnellen Touristen unterscheidet.

Es geht nicht um oberflächliche plakative Eindrücke; es geht um die tiefe, alte, authentische Prägung dieser Stadt.

Und die ist bei Menschen genauso attraktiv wie bei Städten.

Amen.

17. Sonntag nach Trinitatis – Pfr. Dr. Jonas