Lukas 22, 47-53
Als Jesus [im Garten Gethsemane auf dem Ölberg] aber noch [mit seinen Jüngern] redete, siehe, da kam eine Schar; und einer von den Zwölfen, der mit dem Namen Judas, ging vor ihnen her und nahte sich Jesus, um ihn zu küssen.
Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss?
Als aber, die um ihn waren, sahen, was geschehen würde, sprachen sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?
Und einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab.
Da sprach Jesus: Lasst ab! Nicht weiter! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn.
Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Ältesten, die zu ihm hergekommen waren:
Ihr seid wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen ausgezogen?
Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt nicht Hand an mich gelegt.
Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.
Liebe Gemeinde!
„Lebt als Kinder des Lichts!“ Vielleicht haben Sie diesen schönen Vers unserer ersten Lesung heute noch in den Ohren.
Und so stellen wir uns den Glauben und die Nachfolge Jesu ja zu Recht vor.
Als eine helle, klare, heitere, aufmunternde Sache. So hart oder radikal uns die Nachfolge Jesu auch erscheinen mag, sie führt uns doch ins Licht, nach oben, zum Besseren. Das erwarten wir doch. Und das suchen wir doch auch hier in der Kirche, wenn wir herkommen: Ein bisschen Licht für unser manchmal doch so trübes Leben.
„Lebt als Kinder des Lichts!“ Das ist richtig und das kling so schön.
Aber jetzt sind wir mit einer Episode völliger Finsternis konfrontiert.
Jesus ist mit seinen Jüngern in der Nacht am Ölberg. Es ist dunkel.
Jesus wird von seinem eigenen Jünger Judas verraten. Das ist finster.
Jesus wird gefangengenommen. Auch im übertragenen Sinne siegt das Dunkel.
Am Ende unseres Berichts von jenem letzten Abend Jesu sagt er selber:
Das ist die Macht der Finsternis.
Die schönen Worte und heilenden Taten Jesu scheinen unterzugehen in der großen Finsternis der Welt. Alles beeindruckend und gut gemeint. Aber am Ende doch nur eine kurze Episode der Menschheitsgeschichte.
Es ist schon sonderbar, dass dieser Sonntag allen seinen Aufforderungen zur Nachfolge diese dunkle Geschichte der Finsternis gegenüberstellt.
Wenn Jesu Weg selbst in der Dunkelheit endet, hat Nachfolge dann überhaupt Sinn?
Wenn Jesu Ideale – wie seine Gewaltlosigkeit, die wir im Garten Gethsemane auch sehen – am Ende dahin führen, dass er am Ende fertiggemacht wird, lohnt es sich denn überhaupt, sich dafür einzusetzen?
Die schwarze Nacht vor dem Karfreitag ist nicht nur eine Episode im Leben Jesu, sondern die dunkle Frage nach dem Sinn von allem.
Wohin bringt mich eigentlich mein Glaube?
Zahlt sich das alles aus? Wohin bringen mich denn die Ideale von Barmherzigkeit und Liebe und Einsatz für andere? Wird das am Ende nicht alles aufgesogen von der Nacht der Sinnlosigkeit? Es hat doch alles, auf lange Sicht gesehen, nichts gebracht. Am Ende bleibe ich doch allein, alt, krank und verlassen.
Wohin führen unsere gutgemeinten oder radikalen Initiativen für die Rettung unseres Klimas und der Natur? Ist am Ende nicht doch alles sinnlos, weil schon viel zu spät, und am Ende steht der unaufhaltbare Untergang des Planeten?
Die schwarze Nacht vor Karfreitag führt uns das ganze Grauen menschlichen Lebens vor Augen: Verrat durch eigene Freunde, Angriff von übermächtigen Gegnern, Versagen der eigenen Kollegen.
Und das alles auch im Schicksal des Helden Jesus!
Lohnt es sich bei solch einer Aussicht also überhaupt, ihm nachzufolgen oder bei ihm zu bleiben?
Lohnt es sich, vom Licht der Welt zu reden und möglichst „hell“ zu leben, wenn am Ende doch die Finsternis siegt?
Lohnt es sich – wenn alles im schwarzen Dunkel endet – überhaupt zu leben?
I
Es ist wirklich dunkel außerhalb der Stadt. Wir sind das ja gar nicht mehr gewohnt, wo immer irgendeine technisch Beleuchtung da ist. Aber damals gab es keine Straßenbeleuchtung wie bei uns.
Und deshalb kommt diese Gruppe der Tempelwache mit Fackeln.
Daher auch dieser sonderbare Kuss von Judas als Zeichen, um zu zeigen wer Jesus ist. Ich habe mich oft gefragt, warum Judas hier Jesus mit einem Kuss identifizieren muss. Die Tempelwache und die Hohenpriester kannten Jesus ja vom Sehen. Warum muss Judas ihn noch einmal zeigen?
War das nur eine besonders zynische Art, Jesus zu begrüßen?
Nein, das hatte durchaus seinen praktischen Sinn und wurde deshalb von den Hohenpriestern mit Judas vorher so vereinbart.
Im absoluten Dunkel war es schwer, Jesus genau zu erkennen. Man hätte ja den falschen festnehmen können und der echte Jesus hätte fliehen können.
Deshalb der Kuss des Judas als eindeutige Identifikation im Dunkeln.
II
Einzelne Jünger versuchen, Jesus mit dem Schwert zu verteidigen.
Eine völlig wahnwitzige Idee. Wie hätten diese wenigen ungeschulten Jünger die Schar der Soldaten denn im Kampf überwinden sollen?
Das waren Fischer und Zöllner, keine ausgebildeten Kämpfer. Schon rein technisch wäre es völlig verfehlt, hier den Kampf zu beginnen.
Doch Jesus hat einen anderen Grund dafür, zu sagen: Lasst es sein! Steckt das Schwert weg!
Er weiß, was passiert, er fügt sich dem Leiden, er weiß, dass seine Stunde gekommen ist, sich für das Heil der Welt in die Finsternis zu begeben.
Jesus will sich nicht den bösen Mächten ausliefern, sondern dem Willen seines Vaters.
Und jetzt müssen wir aufpassen. Diese Selbstauslieferung Jesu ist ein einmaliger, einzigartiger Fall in der Geschichte.
Das bedeutet nicht, dass wir das immer nachmachen müssen. Diese Gefangennahme Jesu im Garten ist kein Vorbild für jeglichen Verzicht auf Selbstverteidigung.
Man hat immer wieder Jesu Ruf in dieser Situation, das Schwert wegzustecken, als allgemeinen Aufruf zum Verzicht auf Waffen interpretiert. Das gibt die Stelle aber nicht her.
Bei Lukas (22,36) lesen wir sogar zuvor, dass Jesus seine Jünger auffordert, sich ein Schwert zu kaufen und sich einen Geldbeutel zuzulegen.
Die Vorsorge für das eigene Leben und die eigene Sicherheit sind also legitim.
Hier, in diesem einzigartigen Fall der Gefangennahme Jesu, ist der Einsatz von Schwertern falsch.
Der Jünger, der das Schwert zog, hat im Affekt gehandelt. Er schlägt dem Diener des Hohenpriesters das Ohr ab. Lukas nennt keinen Namen, Johannes dagegen nennt Petrus als den, der das Schwert zieht und dem Knecht des Hohenpriesters das Ohr abhaut.
Wir kennen Petrus ja auch sonst als impulsiven Menschen.
An seinem Schwerthieb sieht man zwei Dinge: Er ist kein geschulter Kämpfer, sondern ziemlich ungeschickt. Ein Schwerthieb, der das Ohr trifft, ist nicht gut positioniert. Ein guter Schwerthieb wirft einen Gegner zu Boden.
Das andere ist, dass dieser Knecht des Hohenpriesters in allen vier Evangelien als konkrete Person genannt und beschrieben wird. Johannes nennt sogar seinen Namen, Malchus. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieser Malchus in der frühen Kirche bekannt war und von seinem Erlebnis in jener schicksalhaften Nacht Zeit Lebens berichtet hat.
Wir sehen: Die Passionsgeschichte Jesu ist keine erdichtete oder ausgeschmückte Erzählung, sondern ein gut bezeugter Bericht.
Lukas berichtet uns, dass Jesus das abgeschlagene Ohr sofort wieder heilt.
Das nimmt der Geschichte ihre Grausamkeit, aber das hat noch einen tieferen Sinn.
Jesus löst damit nicht nur ein ästhetisches Problem. Ein abgeschlagenes Ohr wäre ja nicht tödlich und für einen Soldaten in der Antike auch gar nicht so unüblich. Warum heilt Jesus diese verhältnismäßig kleine Verwundung?
Der Soldat war Teil der Tempelwache. Er war ein Angestellter des Tempels. Und nach dem Gesetz musste jeder Tempelbedienstete körperlich unversehrt sein. Ein Mensch mit hinkendem Bein oder missgebildeter Hand war nicht zum Dienst am Tempel zugelassen. Dieser Soldat hätte also seine Lebensgrundlage verloren.
Daher greift Jesus ein. Es geht ihm um das Leben, selbst das Leben seiner Feinde!
Das können wir gerne alle vom ihm lernen. Selbst mitten in finsterer Nacht.
III
Liebe Gemeinde,
man kann sich an Jesus begeistern. Da steht er vor dem Grab des Lazarus mitten unter Trauernden. Alle sind ohne Trost. Aber Jesus ruft durch sein Wort den Toten wieder ins Leben.
Da steht er mitten unter Kranken am Teich Bethesda vor einem Mann mit einem schrecklichen Schicksal. 38 Jahre liegt er schon gelähmt da. Der Leib, die Beine, alles ist versteift und schmerzt. Selbst bei den kleinsten Verrichtungen ist der Mann auf andere angewiesen. Und dann macht Jesus ihn völlig gesund. Das kann man sich nur begeistern!
Aber in dieser dunklen Nachtstunde von Gethsemane wird uns Jesus noch größer! Auf den ersten Blick möchte man Jesus ja bemitleiden. Er wird gepackt, gestoßen, gebunden. Man hält den Atem an. Jesus fällt wehrlos in die Hände der Feinde.
Petrus fühlt, wie alles zusammenbricht, seine ganzen Ideale, sein ganzes neues Lebensgebäude mit diesem Jesus. So rasch soll aller Glanz der Macht Jesu verblichen sein? So schnell soll das Licht der Welt ausgelöscht werden? Im Nun zieht er sein Schwert und schlägt zu. So schnell könnte der Feinde doch überwunden werden!
Armer Petrus! Mit keiner Armee der Welt kann diese unheimliche Finsternis niedergerungen werden.
Jesus überwindet sie. Er ist völlig frei, auch wenn sie ihn binden. Er kann heilen, wo andere töten. Er liebt, wo andere hassen.
Nicht die Menschen sind das Unheimlichste in dieser Nacht, sondern die Macht der Finsternis, die Macht, die Menschen als ihre Werkzeuge benützt.
Sie kann Jesus zwar Handschellen anlegen lassen, ja sie kann ihm das Leben nehmen. Aber herrschen kann sie über ihn nicht!
Darum ist Jesus in dieser dunklen Nacht schon der Sieger des Ostermorgens. Er hat die Macht der Finsternis überwunden.
Das ist gesagt auch in alle unseren dunklen Nächte.
Das ist passiert, damit auch wir in jeder finsteren Nacht unseres Lebens nicht allein sind.
In der Nacht der Einsamkeit, der Krankheiten, der seelischen Angriffe und des Todes.
Jesu Anwesenheit macht jede Nacht hell.
Jesus steht gebunden ist doch Sieger.
Jesus ist gefangen und doch frei.
Das macht uns Mut, den Kampf mit der Finsternis aufzunehmen.
Wer siegen will, muss nicht zum Schwert greifen oder die Flinte ins Korn schmeißen.
Wer siegen will, muss auf Jesus schauen.
Sein Kampf ist unser Sieg. Sein Tod ist unser Leben.
Amen.