Markus 12,1-12
Jesus sprach zu ihnen in einem Gleichnis:
Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.
Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.
Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.
Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn.
Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie.
Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als Letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.
Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein!
Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.
Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.
Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.
Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«?
Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.
O du mein Volk, was tat ich dir?
Betrübt ich dich?
Antworte mir!
Ägyptens Joch entriss ich dich,
du legst des Kreuzes Joch auf mich.
Ich führte dich durch vierzig Jahr
und reichte dir das Manna dar;
das Land des Segens gab ich dir,
und du gibst mir das Kreuz dafür.
Was hab ich nicht für dich getan?
Pflanzt dich als meinen Weinberg an,
und du gibst bittern Essig mir,
durchbohrst des Retters Herz dafür.
Ich führte dich durchs Rote Meer,
und du durchbohrst mich mit dem Speer.
Der Heiden Macht entriss ich dich,
du übergabst den Heiden mich.
Ich nährte in der Wüste dich,
und du, du lässt verschmachten mich;
gab dir den Lebensquell zum Trank,
und du gibst Galle mir zum Dank.
Ich gab dir Gnaden ohne Zahl;
du schlägst mich an des Kreuzes Pfahl.
Ich schlug den Feind, gab dir sein Land;
und grausam schlägt mich deine Hand.
Das Königszepter gab ich dir,
du gibst die Dornenkrone mir.
Liebe Gemeinde,
heute wendet sich einmal Gott an uns mit seiner Klage über das Unrecht.
Das ganze Jahr über sind es ja immer wir, die jammern, die Unrecht beklagen, bei uns und in der Welt, und die damit zu Gott kommen.
„Herr, wie kannst du das zulassen?“
Aber heute tritt einmal er vor uns und sagt: „Was tut ihr mir eigentlich an?“
O du mein Volk, was tat ich dir?
Betrübt ich dich?
Antworte mir!
Ich habe gerade die Worte der Improperien vorgelesen, den alten Klagegesang der Karfreitagsliturgie.
In ihnen spricht Jesus und zählt die großen Heilstaten auf, die Gott für sein Volk geleistet hat, und er stellt ihnen die Schandtaten gegenüber, die er am Kreuz erleiden musste.
In diesen Versen kommt das Selbe zum Ausdruck wie in unserm Evangelium heute:
Gott tat so viel Gutes, legte gute Grundlagen, investierte viel: Und der Mensch verdirbt es. Nicht nur das: Der Mensch wendet sich auch noch gegen Gott und greift ihn an. Undankbarer kann man nicht sein.
Was hier passiert, können vielleicht Eltern verstehen, denen es mit ihren Kindern genauso geht. Da hat man viel investiert, da hat man versucht, es gut zu machen, und dann wird das alles ausgeschlagen, ins Gegenteil verkehrt, als falsch bezeichnet. Derartige Undankbarkeit tut weh.
Und derartige Undankbarkeit tut auch Gott weh. Das ist die Botschaft dieses Tages.
Gott investiert. Er hat uns Menschen so vieles gegeben.
Er hat einen Weinberg angelegt, in dem alles stimmt. Es gibt einen Zaun, eine Kelter und einen Turm.
Für Schutz, für Arbeitsmöglichkeiten und Begabungen, für Unterschlupf ist gesorgt.
Aber die Dankbarkeit darüber hält nicht lange an.
Der Mensch freut sich nicht an dem, was er hat, sondern er sucht das, was er nicht hat.
Gott hätte nur seinen Anteil gefordert, denn der Weinberg gehört ja ihm.
Aber das ist dem Menschen schon zu viel. Er verweigert seine Zahlung.
Gott fordert nur seinen kleinen Anteil an unserem Leben, das ihm ja gehört. Und den meisten Menschen ist es zu viel, einige Minuten zu beten, eine Stunde am Sonntag in die Kirche zu gehen, einmal beim Geldausgeben an ihn zu denken und im Alltag an seine Gebote.
Um Gottes Weinberg steht es schlecht. Nicht, weil er schlecht angelegt ist, sondern weil der Mensch undankbar damit umgeht.
Der Weinberg soll nicht mehr Gott gehören, sondern uns.
Wir wollen mit dieser Welt nicht umgehen als sein Eigentum, sondern als unser Eigentum.
Wir wollen Religion nicht als seine Machtausübung an uns, sondern als unsere Gewissensberuhigung.
Unsere Religion – damit nur fromme Abwehr des lebendigen, des wirklichen Gottes. Gott darf uns nicht zu nahetreten. Gott darf uns nicht stören. Wir verwalten und bearbeiten seinen Weinberg schon allein – letztlich nicht für ihn, sondern für unser Ego.
Und dann dieser Weinbergbesitzer:
Weit weg und damit unsichtbar. So, wie uns Gott oft vorkommt.
Aber hat ein Eigentümer, der nicht da ist, etwa keine Rechte mehr?
Ist jeder Vermieter ohne Rechte, wenn er nicht am Ort wohnt und kontrolliert?
Bewahrt nicht der Kontobesitzer das Recht auf sein Geld, auch wenn er nicht dauernd in der Bank über seinem Besitz wacht?
Abwesenheit nimmt einem keine Eigentumsrechte!
Von dieser Grundregel unseres Zusammenlebens gehen wir alle aus.
Und diese Grundregel gilt auch für Gott, der – ja! – unsichtbar, jenseitig und manchmal fern ist.
Gott verliert doch nicht das Recht auf diese Welt und seine Menschen, nur weil wir ihn nicht sehen.
Alle Menschen, die Gott wegen seiner Abwesenheit den Rücken kehren, müssten sich das einmal fragen.
Wer das Motto hochhält „Wen ich nicht sehe, der hat kein Recht auf mich.“, der dürfte seine Bankkonten nicht andern überlassen, im Urlaub Haus und Hof allein zurücklassen, Frau und Kinder im Alltag allein losziehen lassen.
Wer nur die Personen beachtet und ehrt, die gerade anwesend sind, lebt extrem kurzsichtig.
Vielmehr lebt doch unsere Gesellschaft davon, liebe Gemeinde, dass Menschen auch in Abwesenheit zu uns stehen.
Dass unsere Partner, wenn wir abwesend sind, treu bleiben, dass unsere Kinder nicht einfach abhauen, dass unsere Banken unser Geld – wenn schon nicht vermehren, dann doch immerhin – bewahren.
Ohne Vertrauen geht es. Und auch bei Gott geht es ohne Vertrauen nicht.
Auch wenn er nicht kontrollierend hinter uns steht, ist er da.
Auch wenn wir ihn nicht sehen, gehört ihm diese Erde.
Ein abwesender Eigentümer ist auch in unserer Wirtschaftswelt nichts Besonderes. Aber dieser Weinbergbesitzer im Gleichnis ist kein normaler Eigentümer. Nach damaligen Regeln nicht und nach heutigen Regeln nicht.
Er ist extrem nachsichtig und geduldig.
Er schickt seinen Bediensteten zu den Weingärtnern, um seinen Anteil zu fordern und sie demütigen ihn und schicken ihn mit leeren Händen weg.
Soweit, so gut. Das könnte einmal vorkommen, aber dann würde jeder Eigentümer andere Geschütze auffahren. Ein Strafkommando, rechtliche Schritte, Rausschmiss der Pächter.
Aber dieser biblische Eigentümer schickt immer wieder einzelne Diener in seinen Weinberg.
Den einen schlugen sie auf den Kopf, den nächsten schmähten sie, den nächsten schlugen sie und andere töteten sie.
Jeder der damaligen Zuhörer hat verstanden, von wem Jesus sprach:
Gott hat so viele Propheten geschickt. Und die wurden verachtet, misshandelt und getötet.
Elia ist dem Tod nur knapp entkommen; Sacharja hat sterben müssen (2Chr 24,20.22); Jeremia wurde verschleppt (43,6).
Immer wieder berief Gott neue Propheten und schickte in seine Welt, aber es gab bei den Weingärtnern keine Einsicht.
Was für ein optimistischer, was für ein naiver Herr ist das, der immer wieder eine Lösung sucht, anstatt einmal richtig durchzugreifen?
Was für ein gnädiger, geduldiger, zurückhaltender Eigentümer ist das?
Und doch lernen wir hier eine wichtige Eigenschaft Gottes kennen!
Gott hat unfassbare Geduld mit seinen Menschen.
Gott ist wie wir, wenn wir lieben und nicht aufhören können zu lieben, auch wenn wir enttäuscht wurden. Jeder, der schon einmal richtig unglücklich verliebt war, kennt das.
Die Liebe hofft alles erträgt alles, sie duldet alles.
Denn die Liebe hört niemals auf. Kann niemals aufhören, hat uns Paulus versichert.
Gott geht uns Menschen darin voran.
Er versucht es mit Liebe und mit Einsicht.
Das Herz der Pächter konnte er damit nicht überwinden.
Anders will es Gott aber nicht tun.
Gott hat sich am Karfreitag zu Tode geliebt.
Das Sterben seines Sohns ist der gewaltlose und doch überwältigende Angriff auf das Herz seiner Feinde, auch auf uns.
Gott will uns nicht zermalmen, sondern gewinnen.
Gott sendet und sendet und sendet in die Welt.
Und seine Diener können nur mit ihrem Leben bezeugen und mit Worten überzeugen, nicht mit Gewalt erzwingen.
Ist Ihnen beim Gleichnis aufgefallen, dass keiner von denen, die in den Weinberg geschickt wurden, Gewalt angewandt hat?
Was waren das denn für Trottel, dass sie sich von den bösen Pächtern fertigmachen ließen?
Gottes Diener können nur mit ihrem Leben bezeugen und mit Worten überzeugen, nicht mit Gewalt erzwingen.
Das zeichnet das Christentum aus, wenn es dem Neuen Testament treu bleibt.
Und das unterscheidet das Christentum kategorisch von jeder Religion, die mit Gewalt und Terror um sich greift.
Die Kirche wirkt „sine vi sed verbo“, hat Martin Luther uns in Stammbuch geschrieben: Ohne Gewalt, sondern durch Überzeugung.
Aus dieser Nummer kommen wir Christen nicht raus.
Liebe Gemeinde,
es ist keinesfalls so, als herrschten im Weinberg der Religion heute bessere Zeiten als in Jesu Gleichnis.
Den einen schlugen sie auf den Kopf, den nächsten schmähten sie, den nächsten schlugen sie und andere töteten sie.
Gottes Diener erleiden das auch heute.
Aber sie sind nicht allein.
Gottes geliebter Sohn ist zu ihnen hinabgestiegen. Er leidet und stirbt mit ihnen.
Vergessen wir unsere Geschwister in der Verfolgung nicht!
Und vergessen wir nicht, wie leicht – und wie leichtfertig – wir unsern Glauben hier bei uns in Europa noch leben können.
Die Kirche blutet aus 1000 Wunden.
Und der Weinberg der Religion ist voller Gewalt.
Wir aber stehen auf der Seite von Gottes geliebtem Sohn,
auf der Seite derer, die Gott sendet – immer wieder,
auf der Seite derer, die sich auf die rechte Wange schlagen lassen und die linke hinhalten,
auf der Seite derer, die rausgeschmissen und vertrieben werden,
auf der Seite derer, die in Europa immer weniger werden,
die aber niemals vergessen:
Der Weinberg gehört dem Herrn – für immer und ewig.
Amen.