1. Kön 17,1-16

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Amen.

Liebe Gemeinde,
es war einmal… so beginnen viele Märchen.
Es war einmal ein weiser und gottesfürchtiger Mann in einem fernen Land. Eines Tages, er
sah eine große Dürre kommen, wurde er weit fortgeschickt, nach Osten, und er musste
sich an einem kleinen Bach verstecken. Als er an das bezeichnete Flüsschen kam, sah er
sogleich, dass er das Wasser trinken konnte. Und als er darüber nachdachte, wo er wohl
etwas zu essen fände, da kamen Raben geflogen. Sie brachten Fleisch und Brot am
Morgen und am Abend. Aber, o weh, der Bach trocknete aus, denn es regnete auch in
jener Gegend nicht. Tagein tagaus schien die Sonne. Wieder musste der fromme Mann
aus der Gegend fort, so zog er weiter.
Erzählt jemand diese Geschichte aus einem großen, dicken Buch und dazu noch abends,
wenn einem schon fast die Augen zufallen, dann glaubt man, ein altes Märchen zu hören.
Gute Menschen geraten in Schwierigkeiten und Notsituationen. Aber Tiere können oft
helfen, manchmal können sie in Märchen sogar sprechen. Vor allem aber geht es am
Ende trotz aller Hindernisse gut aus, sonst wären es keine guten Gutenachtgeschichten.
Märchen erzählen wir nicht aus Spaß. Die meisten sind sogar ziemlich ernst, handeln von
Not und Gefahr. Es geht um Leben und Tod, und um Lebensweisheiten.
Weil Märchen viel mehr Wahrheit enthalten als so Manches, was wir sonst irgendwo hören
oder lesen, gibt es auch in der Bibel Geschichten mit märchenhaften Zügen, die wieder
und wieder erzählt werden zum Trost, Mutmachgeschichten gegen die Hoffnungslosigkeit,
um durchzuhalten in schweren Zeiten.
Ich lese jetzt die ganze Geschichte, unseren Predigttext für heute, aus dem 1. Buch der
Könige, Kapitel 17,1-16:
Es sprach Elia, der Tischbiter, aus Tischbe in Gilead zu Ahab: So wahr der Herr, der Gott
Israels, lebt, vor dem ich stehe: Es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen, ich
sage es denn.
2Da kam das Wort des Herrn zu ihm: 3Geh weg von hier und wende dich nach Osten und
verbirg dich am Bach Krit, der zum Jordan fließt. 4Und du sollst aus dem Bach trinken und
ich habe den Raben geboten, dass sie dich dort versorgen sollen. 5Er aber ging hin und
tat nach dem Wort des Herrn und setzte sich nieder am Bach Krit, der zum Jordan fließt.
6Und die Raben brachten ihm Brot und Fleisch des Morgens und des Abends und er trank
aus dem Bach. 7Und es geschah nach einiger Zeit, dass der Bach vertrocknete; denn es
war kein Regen im Lande. 8Da kam das Wort des Herrn zu ihm: 9Mach dich auf und geh
nach Zarpat, das bei Sidon liegt, und bleibe dort; denn ich habe dort einer Witwe geboten,
dich zu versorgen.
10Und er machte sich auf und ging nach Zarpat. Und als er an das Tor der Stadt kam,
siehe, da war eine Witwe, die las Holz auf. Und er rief ihr zu und sprach: Hole mir ein
wenig Wasser im Gefäß, dass ich trinke! 11Und als sie hinging zu holen, rief er ihr nach

und sprach: Bringe mir auch einen Bissen Brot mit! 12Sie sprach: So wahr der Herr, dein
Gott, lebt: Ich habe nichts Gebackenes, nur eine Hand voll Mehl im Topf und ein wenig Öl
im Krug. Und siehe, ich habe ein Scheit Holz oder zwei aufgelesen und gehe heim und will
mir und meinem Sohn zurichten, dass wir essen – und sterben.
13Elia sprach zu ihr: Fürchte dich nicht! Geh hin und mach's, wie du gesagt hast. Doch
mache zuerst mir etwas Gebackenes davon und bringe mir's heraus; dir aber und deinem
Sohn sollst du danach auch etwas backen. 14Denn so spricht der Herr, der Gott Israels:
Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf
den Tag, an dem der Herr regnen lassen wird auf Erden. 15Sie ging hin und tat, wie Elia
gesagt hatte. Und er aß und sie auch und ihr Sohn Tag um Tag. 16Das Mehl im Topf
wurde nicht verzehrt, und dem Ölkrug mangelte nichts nach dem Wort des Herrn, das er
durch Elia geredet hatte.

Liebe Gemeinde,
was für eine märchenhafte Geschichte! Und göttlich zugleich.
Märchenhaft ist es, wie Elia vor dem Tod bewahrt wird, wie Gott selbst Elias Fluchthelfer
wird, ihn fortbringt, versteckt, versorgen lässt durch Raben und nachher wieder
weiterschickt und abermals rettet.
Märchenhaft ist auch das große Herz der Witwe, die nicht nur an ihren Sohn und sich
selbst denkt, sondern auch noch für einen Fremden da ist. Sie hat so gut wie nichts, aber
die Kraft von dem Wenigen noch etwas herzugeben.
Und noch während ich die Geschichte höre, geht mir das Herz auf, der Wunsch, dass von
dieser Geschichte etwas Wirklichkeit wird: dass Witwen und Waisen wie jene in Zarpat
und politisch verfolgte Flüchtlinge wie Elia einer war, nicht verhungern und verdursten
müssen.
Dass es für Menschen möglich sei, sich gegenseitig Mehltöpfe und Ölkrüge immer wieder
aufzufüllen.
Dass es wirklich möglich wäre, vom Überfluss zu teilen. Die Witwe ist sogar einen Schritt
weiter, sie teilt sogar das vorläufig Letzte, was sie hat.
Dass Menschen mit der Wirklichkeit Gottes rechnen, dass sie Vertrauen haben in seine
Macht.
Er weist Menschen den Weg wie Elia, er bringt die richtigen Menschen im passenden
Moment zusammen. Die drei, die Witwe, ihr Sohn und der Prophet leben weiterhin in
kargen Verhältnissen und halten Maß.
Sie nährt auch das Gottvertrauen, jeden Tag für sich zu nehmen, nicht ihre ganze Zukunft
schon mit Sorgen zu überziehen. Sie verlassen sich auf Gottes Segen und Zuwendung,
dass für alles gesorgt sein wird, wenn es soweit ist. Es gehört zur großen Gnade Gottes,
dass sie auch vorher nicht wissen müssen, was noch auf sie zukommt, dass der Sohn
etwa schwer erkranken wird, und dass Elia wieder weiter und fort muss.
Und weil sie damals nach Gottes Willen nicht gestorben sind, nicht verhungert und
verdurstet in der dürren Zeit, erzählt man sich unter den Jüdinnen und Juden später noch
ähnliche märchenhafte Geschichten.
Das besondere an Märchen ist, dass sie keine Jahreszahl und keine genauen
Ortsangaben tragen, aber sie tragen große Wahrheiten weiter:

 Die überlebenswichtig sind
 Die Hoffnung machen und zu Geduld aufrufen
 Die die Liebe Gottes anschaulich und begreiflich machen
 Die das Vertrauen stärken, dass Gott für den morgigen Tag sorgen wird
 Dass Gier und Maßlosigkeit auch die besten Möglichkeiten im Leben verderben

In einer jüdischen Geschichte wird davon ganz wahrhaftig erzählt. Sie handelt davon, dass
nicht aufhört, was einmal angefangen hat – genau wie sich der Mehltopf und der Ölkrug
der Witwe immer wieder füllen. Die Geschichte geht so:
„Eines Tages kam der Prophet Elia, als Bettler verkleidet, in ein kleines Shtetl im großen
russischen Reich. Dort lebten zwei Brüder, ein armer und ein reicher. Bei dem Reichen
rollte der Rubel, beim Armen nicht einmal eine Kopeke. Der arme Bruder war gut und
freundlich, der reiche aber hart und geizig, und dachte nicht daran, seinem Bruder zu
helfen.
Der Prophet im Bettelgewand ging zuerst zu dem reichen Bruder, der gerade vor seinem
Hoftor stand, und grüßte ihn höflich: „Shalom alejchem, einen guten Tag! Werter Herr, seid
so gut und gebt mir ein bisschen Geld, nur eine Kopeke, dass ich mir etwas zu essen
kaufen kann.!“
Der Reiche schrie wütend: „Gar nichts kriegst du von mir! Verschwinde, du Schnorrer, oder
ich hetze meinen Hund auf dich!“
Doch der Hund, der knurrend und zähnefletschend herbeigelaufen kam, wich zurück vor
dem Bettler und legte sich ganz sanft auf den Boden, sehr zum Ärger seines Herrn.
Der Bettler ging weiter, und bald kam er zur Hütte des armen Bruders, klopfte an und bat:
„Seid so gut und gebt mir nur eine Kopeke, ich hab‘ Hunger!“
„Du siehst doch selbst, wie arm ich bin! Ich kann dir kein Geld geben, aber was ich habe,
will ich mit dir teilen!“ Er lud den Bettler ein, sich zu setzen, und sie teilten das Wenige,
was im Haus war: ein Stück Brot, ein halber Hering, heruntergespült mit etwas kaltem Tee,
der noch vom Vortag übrig war. Sie aßen und redeten miteinander, und dann stand der
Bettler auf und schickte sich an, weiterzuziehen. Doch vorher bedankte er sich herzlich bei
seinem Gastgeber und sagte: „Was ihr damit anfangt zu tun, soll kein Ende nehmen!“ Ein
seltsamer Wunsch – dass man mit dem, was man beginnt, nicht aufhören soll?!
Der arme Mann dachte sich nicht viel dabei. Er sah nur, dass auf dem Bänkchen sein
Talles, sein Gebetsschal, liegen geblieben war, und er legte ihn zusammen.
Er traute seinen Augen nicht: Auf einmal lag da noch ein Talles, aber ein viel schönerer
Schal als sein eigener, von ganz feinem Stoff. Also faltete er den auch zusammen. Doch
da lag schon ein dritter und ein vierter, und die Schals nahmen kein Ende. Da erst begriff
er, was der Bettler gemeint hatte, und dass das kein einfacher Bettler gewesen war,
sondern der Prophet Elia! Schließlich war seine ganze Stube voll mit Gebetsschals; er
machte einen Laden auf und verkaufte sie, und seine Not hatte ein Ende.
Natürlich verbreitete sich die Nachricht davon wie ein Lauffeuer und gelangte auch zu den
Ohren des reichen Bruders. Der dachte sich sein Teil und hätte sich den Bart ausreißen
können, dass er zu dem vermeintlichen Bettler so grob gewesen war. Er hoffte inständig,
dass dieser sich noch einmal sehen ließe, und ihm auch so einen Segensspruch geben
würde.

Er dachte sich: „Ich werde bestimmt nicht bloß Tuch um Tuch zusammenlegen wie mein
Bruder, der Nichtsnutz, der Schnorrer! Ich werde goldene Rubel zählen!“
Und für alle Fälle stellte er seine ganze Stube mit leeren Truhen voll, in die er die Haufen
Gold hineinfüllen wollte. Auf den Tisch legte er eine Goldmünze, damit er etwas hätte,
womit er anfangen könnte zu zählen.
Und tatsächlich! Kurz darauf sah er den Bettler von ferne, lief ihm entgegen und rief:
„Shalom alejchem, teurer Freund – kommt herein und seid mein Gast!“ Und er bat den
Bettler unter vielen Verbeugungen in sein Esszimmer. Es gab zu essen und zu trinken von
allem, was gut und teuer ist: eine köstliche Hühnerbrühe, gefilten Fisch, ganze gebratene
Hühner und zum Nachtisch einen süßen Kugel-Auflauf, dazu die besten Weine ä- es war
so fein wie bei den Rothschilds!
Als sie mit dem Mahl fertig waren, stand der Bettler auf und sagte zu seinem Gastgeber:
„Ich danke Euch! Möge das, was Ihr beginnt, kein Ende nehmen!“
So ein Schlamassel!, dachte sich der reiche Mann und schob den Bettler rasch hinaus,
denn er konnte es nicht abwarten, mit dem Zählen der Goldmünzen zu beginnen. Er
stürzte in die Stube mit den leeren Truhen und griff schon zu der Münze, mit der er
anfangen wollte, doch dann besann er sich, dass er ja die ganze Nacht hindurch zählen
würde, und es daher nach all dem Wein, den er getrunken hatte, besser wäre, sich vorher
zu erleichtern…
Also ging er auf den Hof in eine dunkle Ecke … Nun, was soll ich euch sagen – der
Wunsch des Propheten Elia ging in Erfüllung! Und so steht er noch heute im Hof und
erleichtert sich.“

Liebe Gemeinde,
überlegen wir genau, was wir anfangen – und alles, was gut ist, möge um Gottes Willen
kein Ende nehmen. Er möge seinen Segen dazu legen. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in
Christus Jesus. Amen.Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Amen.

Liebe Gemeinde,
es war einmal… so beginnen viele Märchen.
Es war einmal ein weiser und gottesfürchtiger Mann in einem fernen Land. Eines Tages, er
sah eine große Dürre kommen, wurde er weit fortgeschickt, nach Osten, und er musste
sich an einem kleinen Bach verstecken. Als er an das bezeichnete Flüsschen kam, sah er
sogleich, dass er das Wasser trinken konnte. Und als er darüber nachdachte, wo er wohl
etwas zu essen fände, da kamen Raben geflogen. Sie brachten Fleisch und Brot am
Morgen und am Abend. Aber, o weh, der Bach trocknete aus, denn es regnete auch in
jener Gegend nicht. Tagein tagaus schien die Sonne. Wieder musste der fromme Mann
aus der Gegend fort, so zog er weiter.
Erzählt jemand diese Geschichte aus einem großen, dicken Buch und dazu noch abends,
wenn einem schon fast die Augen zufallen, dann glaubt man, ein altes Märchen zu hören.
Gute Menschen geraten in Schwierigkeiten und Notsituationen. Aber Tiere können oft
helfen, manchmal können sie in Märchen sogar sprechen. Vor allem aber geht es am
Ende trotz aller Hindernisse gut aus, sonst wären es keine guten Gutenachtgeschichten.
Märchen erzählen wir nicht aus Spaß. Die meisten sind sogar ziemlich ernst, handeln von
Not und Gefahr. Es geht um Leben und Tod, und um Lebensweisheiten.
Weil Märchen viel mehr Wahrheit enthalten als so Manches, was wir sonst irgendwo hören
oder lesen, gibt es auch in der Bibel Geschichten mit märchenhaften Zügen, die wieder
und wieder erzählt werden zum Trost, Mutmachgeschichten gegen die Hoffnungslosigkeit,
um durchzuhalten in schweren Zeiten.
Ich lese jetzt die ganze Geschichte, unseren Predigttext für heute, aus dem 1. Buch der
Könige, Kapitel 17,1-16:
Es sprach Elia, der Tischbiter, aus Tischbe in Gilead zu Ahab: So wahr der Herr, der Gott
Israels, lebt, vor dem ich stehe: Es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen, ich
sage es denn.
2Da kam das Wort des Herrn zu ihm: 3Geh weg von hier und wende dich nach Osten und
verbirg dich am Bach Krit, der zum Jordan fließt. 4Und du sollst aus dem Bach trinken und
ich habe den Raben geboten, dass sie dich dort versorgen sollen. 5Er aber ging hin und
tat nach dem Wort des Herrn und setzte sich nieder am Bach Krit, der zum Jordan fließt.
6Und die Raben brachten ihm Brot und Fleisch des Morgens und des Abends und er trank
aus dem Bach. 7Und es geschah nach einiger Zeit, dass der Bach vertrocknete; denn es
war kein Regen im Lande. 8Da kam das Wort des Herrn zu ihm: 9Mach dich auf und geh
nach Zarpat, das bei Sidon liegt, und bleibe dort; denn ich habe dort einer Witwe geboten,
dich zu versorgen.
10Und er machte sich auf und ging nach Zarpat. Und als er an das Tor der Stadt kam,
siehe, da war eine Witwe, die las Holz auf. Und er rief ihr zu und sprach: Hole mir ein
wenig Wasser im Gefäß, dass ich trinke! 11Und als sie hinging zu holen, rief er ihr nach

und sprach: Bringe mir auch einen Bissen Brot mit! 12Sie sprach: So wahr der Herr, dein
Gott, lebt: Ich habe nichts Gebackenes, nur eine Hand voll Mehl im Topf und ein wenig Öl
im Krug. Und siehe, ich habe ein Scheit Holz oder zwei aufgelesen und gehe heim und will
mir und meinem Sohn zurichten, dass wir essen – und sterben.
13Elia sprach zu ihr: Fürchte dich nicht! Geh hin und mach's, wie du gesagt hast. Doch
mache zuerst mir etwas Gebackenes davon und bringe mir's heraus; dir aber und deinem
Sohn sollst du danach auch etwas backen. 14Denn so spricht der Herr, der Gott Israels:
Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf
den Tag, an dem der Herr regnen lassen wird auf Erden. 15Sie ging hin und tat, wie Elia
gesagt hatte. Und er aß und sie auch und ihr Sohn Tag um Tag. 16Das Mehl im Topf
wurde nicht verzehrt, und dem Ölkrug mangelte nichts nach dem Wort des Herrn, das er
durch Elia geredet hatte.

Liebe Gemeinde,
was für eine märchenhafte Geschichte! Und göttlich zugleich.
Märchenhaft ist es, wie Elia vor dem Tod bewahrt wird, wie Gott selbst Elias Fluchthelfer
wird, ihn fortbringt, versteckt, versorgen lässt durch Raben und nachher wieder
weiterschickt und abermals rettet.
Märchenhaft ist auch das große Herz der Witwe, die nicht nur an ihren Sohn und sich
selbst denkt, sondern auch noch für einen Fremden da ist. Sie hat so gut wie nichts, aber
die Kraft von dem Wenigen noch etwas herzugeben.
Und noch während ich die Geschichte höre, geht mir das Herz auf, der Wunsch, dass von
dieser Geschichte etwas Wirklichkeit wird: dass Witwen und Waisen wie jene in Zarpat
und politisch verfolgte Flüchtlinge wie Elia einer war, nicht verhungern und verdursten
müssen.
Dass es für Menschen möglich sei, sich gegenseitig Mehltöpfe und Ölkrüge immer wieder
aufzufüllen.
Dass es wirklich möglich wäre, vom Überfluss zu teilen. Die Witwe ist sogar einen Schritt
weiter, sie teilt sogar das vorläufig Letzte, was sie hat.
Dass Menschen mit der Wirklichkeit Gottes rechnen, dass sie Vertrauen haben in seine
Macht.
Er weist Menschen den Weg wie Elia, er bringt die richtigen Menschen im passenden
Moment zusammen. Die drei, die Witwe, ihr Sohn und der Prophet leben weiterhin in
kargen Verhältnissen und halten Maß.
Sie nährt auch das Gottvertrauen, jeden Tag für sich zu nehmen, nicht ihre ganze Zukunft
schon mit Sorgen zu überziehen. Sie verlassen sich auf Gottes Segen und Zuwendung,
dass für alles gesorgt sein wird, wenn es soweit ist. Es gehört zur großen Gnade Gottes,
dass sie auch vorher nicht wissen müssen, was noch auf sie zukommt, dass der Sohn
etwa schwer erkranken wird, und dass Elia wieder weiter und fort muss.
Und weil sie damals nach Gottes Willen nicht gestorben sind, nicht verhungert und
verdurstet in der dürren Zeit, erzählt man sich unter den Jüdinnen und Juden später noch
ähnliche märchenhafte Geschichten.
Das besondere an Märchen ist, dass sie keine Jahreszahl und keine genauen
Ortsangaben tragen, aber sie tragen große Wahrheiten weiter:

 Die überlebenswichtig sind
 Die Hoffnung machen und zu Geduld aufrufen
 Die die Liebe Gottes anschaulich und begreiflich machen
 Die das Vertrauen stärken, dass Gott für den morgigen Tag sorgen wird
 Dass Gier und Maßlosigkeit auch die besten Möglichkeiten im Leben verderben

In einer jüdischen Geschichte wird davon ganz wahrhaftig erzählt. Sie handelt davon, dass
nicht aufhört, was einmal angefangen hat – genau wie sich der Mehltopf und der Ölkrug
der Witwe immer wieder füllen. Die Geschichte geht so:
„Eines Tages kam der Prophet Elia, als Bettler verkleidet, in ein kleines Shtetl im großen
russischen Reich. Dort lebten zwei Brüder, ein armer und ein reicher. Bei dem Reichen
rollte der Rubel, beim Armen nicht einmal eine Kopeke. Der arme Bruder war gut und
freundlich, der reiche aber hart und geizig, und dachte nicht daran, seinem Bruder zu
helfen.
Der Prophet im Bettelgewand ging zuerst zu dem reichen Bruder, der gerade vor seinem
Hoftor stand, und grüßte ihn höflich: „Shalom alejchem, einen guten Tag! Werter Herr, seid
so gut und gebt mir ein bisschen Geld, nur eine Kopeke, dass ich mir etwas zu essen
kaufen kann.!“
Der Reiche schrie wütend: „Gar nichts kriegst du von mir! Verschwinde, du Schnorrer, oder
ich hetze meinen Hund auf dich!“
Doch der Hund, der knurrend und zähnefletschend herbeigelaufen kam, wich zurück vor
dem Bettler und legte sich ganz sanft auf den Boden, sehr zum Ärger seines Herrn.
Der Bettler ging weiter, und bald kam er zur Hütte des armen Bruders, klopfte an und bat:
„Seid so gut und gebt mir nur eine Kopeke, ich hab‘ Hunger!“
„Du siehst doch selbst, wie arm ich bin! Ich kann dir kein Geld geben, aber was ich habe,
will ich mit dir teilen!“ Er lud den Bettler ein, sich zu setzen, und sie teilten das Wenige,
was im Haus war: ein Stück Brot, ein halber Hering, heruntergespült mit etwas kaltem Tee,
der noch vom Vortag übrig war. Sie aßen und redeten miteinander, und dann stand der
Bettler auf und schickte sich an, weiterzuziehen. Doch vorher bedankte er sich herzlich bei
seinem Gastgeber und sagte: „Was ihr damit anfangt zu tun, soll kein Ende nehmen!“ Ein
seltsamer Wunsch – dass man mit dem, was man beginnt, nicht aufhören soll?!
Der arme Mann dachte sich nicht viel dabei. Er sah nur, dass auf dem Bänkchen sein
Talles, sein Gebetsschal, liegen geblieben war, und er legte ihn zusammen.
Er traute seinen Augen nicht: Auf einmal lag da noch ein Talles, aber ein viel schönerer
Schal als sein eigener, von ganz feinem Stoff. Also faltete er den auch zusammen. Doch
da lag schon ein dritter und ein vierter, und die Schals nahmen kein Ende. Da erst begriff
er, was der Bettler gemeint hatte, und dass das kein einfacher Bettler gewesen war,
sondern der Prophet Elia! Schließlich war seine ganze Stube voll mit Gebetsschals; er
machte einen Laden auf und verkaufte sie, und seine Not hatte ein Ende.
Natürlich verbreitete sich die Nachricht davon wie ein Lauffeuer und gelangte auch zu den
Ohren des reichen Bruders. Der dachte sich sein Teil und hätte sich den Bart ausreißen
können, dass er zu dem vermeintlichen Bettler so grob gewesen war. Er hoffte inständig,
dass dieser sich noch einmal sehen ließe, und ihm auch so einen Segensspruch geben
würde.

Er dachte sich: „Ich werde bestimmt nicht bloß Tuch um Tuch zusammenlegen wie mein
Bruder, der Nichtsnutz, der Schnorrer! Ich werde goldene Rubel zählen!“
Und für alle Fälle stellte er seine ganze Stube mit leeren Truhen voll, in die er die Haufen
Gold hineinfüllen wollte. Auf den Tisch legte er eine Goldmünze, damit er etwas hätte,
womit er anfangen könnte zu zählen.
Und tatsächlich! Kurz darauf sah er den Bettler von ferne, lief ihm entgegen und rief:
„Shalom alejchem, teurer Freund – kommt herein und seid mein Gast!“ Und er bat den
Bettler unter vielen Verbeugungen in sein Esszimmer. Es gab zu essen und zu trinken von
allem, was gut und teuer ist: eine köstliche Hühnerbrühe, gefilten Fisch, ganze gebratene
Hühner und zum Nachtisch einen süßen Kugel-Auflauf, dazu die besten Weine ä- es war
so fein wie bei den Rothschilds!
Als sie mit dem Mahl fertig waren, stand der Bettler auf und sagte zu seinem Gastgeber:
„Ich danke Euch! Möge das, was Ihr beginnt, kein Ende nehmen!“
So ein Schlamassel!, dachte sich der reiche Mann und schob den Bettler rasch hinaus,
denn er konnte es nicht abwarten, mit dem Zählen der Goldmünzen zu beginnen. Er
stürzte in die Stube mit den leeren Truhen und griff schon zu der Münze, mit der er
anfangen wollte, doch dann besann er sich, dass er ja die ganze Nacht hindurch zählen
würde, und es daher nach all dem Wein, den er getrunken hatte, besser wäre, sich vorher
zu erleichtern…
Also ging er auf den Hof in eine dunkle Ecke … Nun, was soll ich euch sagen – der
Wunsch des Propheten Elia ging in Erfüllung! Und so steht er noch heute im Hof und
erleichtert sich.“

Liebe Gemeinde,
überlegen wir genau, was wir anfangen – und alles, was gut ist, möge um Gottes Willen
kein Ende nehmen. Er möge seinen Segen dazu legen. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in
Christus Jesus. Amen.

7. Sonntag nach Trinitatis – Pfarrerin Patrizia Müller