Jes 55,1-5
Liebe Gemeinde,
Sie werden sicherlich manche Augenblicke in Ihrem Leben nicht vergessen. Momente, in denen das Leben leuchtet und strahlt; Momente, in denen Sie einfach das pure Leben fühlten – und zugleich unendlich gehalten.
Vielleicht war das der Augenblick, als Sie zum ersten Mal Ihr eigenes Kind im Arm hielten.
Momente, die Ihr Leben von Grund auf verändert haben… Augenblicke, in denen Gott so nah ist wie ein Kind auf meinem Arm. Solche Augenblicke sind so unendlich wertvoll.
Sie machen das Leben leuchtend und schön, dass ich es bis in die Fingerspitzen fühle.
Diese magischen Momente zu genießen und das Leben zu empfangen, das lernen wir so gut von Kindern, die sich so unbedarft dem Leben hingeben können, einfach genießen und staunen können. Über die Kraft der Sonnenstrahlen, die Wolken beobachten, wie sie am Himmel vorbeiziehen und darin Formen und Gestalten entdecken. Dem Gezwitscher der Vögel einfach nur lauschen, die Regentropfen, die an das Fenster klatschen, bejubeln, die in Pfützen springen und sich einfach am spritzenden Wasser erfreuen.
Es ist einfach alles da: die Luft, die du atmest, das Wasser, das du trinkst, die Milch, die dich nährt – umsonst.
Und dieses „umsonst“ gilt ja nicht nur den kleinsten Menschen, sondern jeder Kreatur. So steht es in der Bibel vom Propheten Jesaja, vor langer Zeit aufgeschrieben und heute noch gültig wie damals:
Wohlan, alle die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt zu mir! Höret, so werdet ihr leben!
„Kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!“ Dieses umsonst hören wir schon gerne, aber so ganz trauen wir dem auch nicht. Umsonst – das kann ja nicht viel wert sein. Irgendwann kommt schon die Rechnung. Alles hat doch seinen Preis. Im Leben wird einem nichts geschenkt. Ich muss Leistung bringen für das, was ich vom Leben erwarte. Manche fragen z.B. auch: Was bringt es mir, wenn ich etwas abgebe z.B. von meiner Zeit, von meiner Liebe – was bekomme ich heraus, wie zahlt sich das aus?
In einer Werbeanzeige ist zu lesen: Denken Sie doch einmal an sich. Was wie ein Aufruf zur Selbstbesinnung klingt, entpuppt sich doch nur als Marketingmasche: Kauf dir ein neues Kleid, einen neuen Mantel, neue Schuhe und was noch alles.
Dieses und jenes musst du haben, obwohl die Schränke und Regale schon überquellen. Manchmal frage ich mich schon: Ist es das, was mein Leben reich macht? Macht mich das satt? Und ich höre die Worte Jesajas: Warum zahlt ihr Geld für das, was kein Brot ist und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht?
Alles wird vermarktet – die Sehnsucht, auch die Religion: Seminare über Glück und Selbstverwirklichung, schau nur hin, was dir alles geboten wird auf dem Markt der spirituellen Möglichkeiten. Freie Auswahl: hier mal nippen, dort mal kosten. Auch wenn’s tatsächlich Geld kostet. Da gibt jemand locker mal 300 Euro am Wochenende aus auf seiner Sinnsuche.
Und wieder höre ich die Stimme Jesajas: Warum zahlt ihr Geld für das, was kein Brot ist …? Kommt lieber zu mir, bei mir ist alles umsonst.
Umsonst etwas erhalten, sich wirklich etwas schenken lassen, damit tun sich so viele einfach schwer. Das gleiche ich schon wieder aus, heißt es da, nur keinem etwas schuldig bleiben. Ich war bei denen auf dem Geburtstag eingeladen, also muss ich sie auch zu meiner Feier einladen. Weihnachten, Geburtstage, Hochzeiten, Jubiläen als Tauschmarkt, um alles zurückzugeben, um ja nur nicht in jemandes Schuld zu stehen.
Was für ein Rechnen und Zählen, wie anstrengend… Kein Wunder, dass manche denken, die Liebe Gottes gilt mir nicht umsonst, sondern ich muss dafür etwas leisten. Für ihn muss ich mich anstrengen. Alles hat schließlich seinen Preis. Nur der Glaube eben nicht!
Einmal wird uns gewiss die Rechnung präsentiert
Für den Sonnenschein und das Rauschen der Blätter,
die sanften Maiglöckchen und die dunklen Tannen,
für den Schnee und den Wind,
den Vogelflug und das Gras und die Schmetterlinge,
für die Luft, die wir geatmet haben,
und den Blick auf die Sterne
und für alle Tage, die Abende und die Nächte.
Einmal wird es Zeit, dass wir aufbrechen und bezahlen.
Bitte die Rechnung.
Doch wir haben sie ohne den Wirt gemacht:
Ich habe euch eingeladen, sagt der und lacht,
soweit die Erde reicht: Es war mir ein Vergnügen!
Sich etwas schenken lassen zu können, ist eine Gabe, finde ich. Sich dadurch wahrhaftig bereichert zu fühlen.
Und nicht auf all das schauen, was ich mir kaufen und leisten kann und davon zu sammeln und zu horten. Schnell schlägt es in ein „Zu viel“ aus.
Merkwürdig, wie gut dieser Satz für das Leben in vergleichsweise reichen Ländern Europas passt.
Ich schaue in meinen Kleiderschrank – eindeutig zu viel.
Letztens hat mich ein Satz nachdenklich gemacht, den ich gehört habe: „Haben und nicht benötigen, ist Diebstahl.“
Nutzlos verstaubt so vieles. Und ich könnte diese Aufzählung noch weiter fortsetzen, was alles „zu viel“ ist: Ich höre von so vielen Schreibtischen in Kinder- und Jugendzimmer sowie in Büros, auf denen sich zu viel Arbeit stapelt. Und ich denke an Freizeitpläne, die in ein Zuviel an Tops auf der To-Do-Liste ausarten. Ich schaue auf mein Auto – zu viele gefahrene Kilometer. Ich denke an den Urlaub – zu viele Flüge, zu viele Kreuzfahrten. Ich schaue aufs Handy: zu viel Bildschirmzeit. Und warum werde ich nicht satt?
Würden wir alle Möglichkeiten nutzen, die wir haben, würde unsere Seele in der Fülle ertrinken. Manchmal habe ich das Gefühl, wir verlernen zu unterscheiden, was wichtig ist und was nicht. Wir verlieren den Bezug zu den Dingen, wenn wir die Welt nur noch als ein Warenhaus ansehen. Zu viel bedeutet im Umkehrschluss auch zu wenig: Zu wenig Lebensqualität, zu wenig Ruhe, zu wenig Muße, zu wenig Beziehung zur Natur und zu den Menschen, zu wenig Sinn, zu wenig Gott.
Es klingt verrückt, wenn der Prophet Jesaja im Auftrag Gottes lebenswichtige Dinge auch noch gratis anbietet: Wasser, Brot, Wein und Milch. Unser Markt hat andere Gesetze: Er muss wachsen, immer mehr. Ob man alles von diesem Markt braucht, spielt keine Rolle. Wir leben von der Illusion, nur mit Wachstum ließe sich gut leben.
Das flüstert uns jedenfalls die Werbung ein. Man kann, so habe ich gelesen, sogar seine Stirn als Werbefläche vermieten. Eine Fluggesellschaft in Neuseeland bietet Ihnen rund 500 Euro, wenn Sie sich einen Werbeschriftzug auf die Stirn tätowieren lassen. Das ist doch absurd.
Zu viel auf der einen Seite – zu wenig auf der anderen…
Und ich frage mich, wie mag das Angebot Gottes wohl in den Ohren der Ärmsten der Armen klingen, wenn Jesaja in die Welt ruft: Alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld umsonst Wein und Milch!
Ich sehe vor mir eine Mutter mit ihrem Kind auf dem Arm – mitten in einem der vielen Elends- und Kriegsvierteln dieser Welt.
Ganz besorgt ist sie um ihr Kind wie so viele Mütter und Väter. Sorgenvolle Gedanken in Richtung Zukunft, in Richtung Überleben. Diese Mutter sagt jedenfalls ihrem Kind wohl kaum: „Schau her, das ist alles für dich, umsonst.“ Vielmehr: „Für dich wird es nicht genügend Brot geben. Das essen andere. Und wer weiß, wie lange die Milch deiner Mutter reicht. Du wirst schon oft genug durstig bleiben oder Wasser aus fauligen Tümpeln schöpfen müssen. Und Wein – das Getränk der Lebensfreude – wirst du nicht schmecken.“
Diese offensichtliche absolute Armut, in der Hunger und Durst die täglichen Folterknechte sind, ist einfach nur schrecklich und brutal.
Und dann gibt es noch diese andere Art von Armut, manche beschreiben sie mit dem Satz: „Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben.“ Diese Art von Armut ist auch in den vergleichsweise wohlhabenden Ländern wir unseren zu finden.
Mir kommen die Menschen in den Sinn, die ein so geringes Einkommen haben, dass sie an vielen Dingen einfach nicht teilhaben können – geringere Bildungschancen, zu wenig Mittel, um sich am kulturellen und gesellschaftlichen Leben zu beteiligen, zu enger Wohnraum, zu wenig Rente, zu wenig Geld für gesundes Essen, geringeres soziales Ansehen und kaum eine Chance, all dies zu verbessern.
Und dann gibt es noch eine dritte Art von Armut: Wenn der Kontostand stimmt, aber die Seele aus dem Gleichgewicht kommt.
Es ist schon eigenartig: In einer Welt, die zählt und wiegt und rechnet, wird so leicht übersehen, was das Leben wirklich reich macht, an Schönheiten dieser Welt wird vorbeigerannt: hier flattert ein bunter Schmetterling, da macht mir jemand ein Kompliment, das von Herzen kommt, hier eine Umarmung, da ein liebevoller Blick.
Die kostbarsten Dinge tragen kein Preisschild. Kommt, kauft umsonst, nehmt, sagt Gott,
wenn dich meine Botschaft trifft, nimm sie einfach an und nimm sie auf in dein Herz, lass dich von ihr erfüllen und verschenke davon einfach weiter – nicht um eine neue Rechnung aufzumachen, sondern einfach zum Segen vieler – umsonst. In Demut und Dankbarkeit.
Ja, den physischen Hunger und den physischen Durst stille ich damit nicht. Aber womöglich gehen wir großzügiger mit Dingen um, die wir umsonst geschenkt bekommen und lassen andere daran teilhaben. Es wäre uns vielmehr eine Herzensangelegenheit, dass möglichst viele Menschen davon erfahren und in den Genuss kommen.
Darum spricht Gott zu uns: Hört auf mich, so werdet ihr leben und glauben und hoffen und lieben.
Ohne Gott ist das Zuviel zu wenig. Mit Gott ist das Wenige unendlich viel.
Amen.