Apg 3,1-10
Liebe Gemeinde in Rom,
Ihnen, die Sie in dieser schönen Stadt leben, begegnet es regelmäßig. Und
auch wir Zugereisten, die wir hier durch die Straßen schlendern, bemerken
es: Vor jeder Kirche finden sich ein oder zwei Personen, die um ein Almosen
bitten. Mal sitzen sie auf den Treppenstufen, mal gehen sie auf einen zu. Wir
erkennen sie und ihren Wunsch, bevor sie den Mund auftun oder einem die
offene Hand entgegenstrecken. Und dann? Empfinden wir es als Störung?
Geben wir schnell eine Münze oder schütteln mit dem Kopf, weil wir sofort
weiterkommen wollen? Schauen wir uns den Menschen gegenüber an und
versuchen, etwas in seinen Augen zu lesen, aus ihrem Gesicht
wahrzunehmen? Oder haben wir den Verdacht, dass dahinter bloß eine gut
organisierte Masche steckt, um an Geld zu kommen?
In Jerusalem vor 2000 Jahren war es ganz ähnlich.
Textlesung
Schön, dass der Mann Freunde hatte, die ihn regelmäßig an diesen Ort
brachten, damit er etwas erbitten konnte für sich und vielleicht sogar für
seine Familie. Das war mein erster Gedanke beim Lesen. Ähnlich den
Männern, die einmal ein Dach abdeckten, um einen Gelähmten vor die Füße
Jesu zu legen. Vielleicht war es aber auch nur eine Masche, um an Geld zu
kommen, war mein zweiter Gedanke. Ähnlich wie viele es den Müttern mit
kleinem Kind im Arm in unserer Zeit unterstellen.
Der Mann sieht Petrus und Johannes – nein besser, er sieht eigentlich nur
zwei Personen kommen, die er um Geld bitten kann.
Petrus fordert ihn auf: „Sieh uns an.“ Also nimm wahr, wer hier vor dir steht.
Wir haben mehr zu geben als ein paar Münzen.
Da schaut der Mann halt auf die zwei aber erwarten tut er weiterhin, dass die
ihm nun das geben, was er möchte, nämlich Geld.
Nun wird Petrus noch deutlicher: Gold und Silber haben wir nicht. Aber wir
haben etwas anderes, etwas, was viel mehr ist als Geld, als Essen und
Trinken und ein Dach über dem Kopf. Und von dem, was wir haben,
möchten wir dir gerne abgeben. Wir möchten dir von unserem Reichtum
mitteilen, ihn mit dir teilen.
An dieser Stelle verlasse ich für zwei Gedanken die Szene in Jerusalem.
Zunächst: ich und wir. In dem ganzen Kapitel heißt es immer wieder „Petrus
und Johannes“ gehen zusammen. Wenn es aber zum Reden und Handeln
kommt, heißt es immer nur Petrus sagt, macht. Vermutlich will Lukas damit
nur die Sonderrolle des Petrus in der Gemeinde damals unterstreichen aber
im Kern geht es doch um das Gemeinsame. Und das ist heute nicht anders.
Wenn wir im Verlauf des Gottesdienstes Heidi Lengler zur Pastorin in der
ELKI ordinieren, heben wir sie ein bisschen heraus aus der Gruppe der
Christen, der Gemeinde aber letztlich bleibt sie wie alle Pastorinnen und
Pastoren eine von allen. Nicht allein sie, allein wir Pastoren, sind zuständig
für das Teilen unseres Schatzes, unseres Glaubens, sondern alle. Wir alle
sind aufgefordert, zu erzählen von der Hoffnung, die in uns ist. Wir alle sind
aufgefordert, zu helfen, wo einer oder viele in Not sind. Wir alle sind
aufgefordert, dort tatkräftig zuzugreifen, zu unterstützen, wo unser Einsatz
gefragt, benötigt wird. Nicht die Pastorin, weil sie studiert hat, nicht der
Pastor, weil der sogar dafür bezahlt wird, nein, wir alle. Wir sind Gemeinde,
wir sind zusammen dafür da, nach außen zu bezeugen, zu handeln, zu lieben,
weiterzugeben von dem Schatz, den wir haben. Wenn wir
zusammenkommen, singen und beten, Gemeinschaft untereinander haben,
lachen uns uns liebhaben, dann setzen sich Menschen auf die Treppen
unserer Kirchen, dann wagen sie einen Schritt auf unsere Gemeindehäuser
zu.
Sehen und gesehen werden. Es geht um das Hinsehen, das genaue Hinsehen,
das Hinter eine Fassade Schauen. Sowohl auf den anderen wie auf uns
selbst. Was braucht mein Gegenüber? Was sucht er oder sie wirklich? Was
fehlt tatsächlich? Was treibt ihn unermüdlich vorwärts, was bedrückt,
belastet sie tief im Innern? Ja, vielleicht auch: Was behindert einen in seinem
Leben, lähmt ihn, so dass er nicht zufrieden und glücklich leben kann? Und
dann: Was habe ich zu geben? Was können wir alle mit ihm oder ihr teilen?
Gold und Silber haben wir nicht, sagt Petrus. Trifft das auch auf uns zu, auf
mich persönlich, die Gemeinde in Rom, die ELKI in Italien? Auch da heißt
es genau hinschauen, abwägen, entscheiden. Noch können wir PastorInnen
bezahlen, Gebäude unterhalten, Veranstaltungen organisieren. Also ja. Aber
die Gebäude müssen unterhalten werden, Löhne und Dienstleistungen
gezahlt, Rechnungen beglichen. Also nein. Es bleibt dabei: Genau
hinschauen, abwägen und dann entscheiden. Gebt dem Kaiser, was des
Kaisers ist, aber vor allem: Gebt Gott, was Gottes ist! Hier liegt doch unser
eigentlicher Schatz. Darin besteht doch unser wirkliches Vermögen. Wir
haben erkannt, dass wir Geliebte Gottes sind. Wir spüren, wie froh und leicht
es macht, wenn jemand unsere Sünden vergibt. Wir erleben, was es bedeutet,
gemeinsam auf eine Sache zu vertrauen. Wir entdecken, wie hilfreich ein
Maßstab wie Gottes Wort sein kann in einer Welt, die täglich mehr
Möglichkeiten und Anforderungen anbietet, sich zu verhalten.
Zurück auf die Stufen des Tempels. Petrus setzt seine Worte, seine
Überzeugung in eine Tat um. Er packt den Gelähmten bei der Hand und
stellt ihn auf seine Füße. Wow, denke ich. Was für eine Überzeugung! Er tut
das ja, weil er überzeugt davon ist, dass die Beine ihn nun tragen werden,
dass Gott also etwas verändern wird am Zustand des anderen. Gleichzeitig
schrecke ich zurück, weil in meinem Kopf eine Warnleuchte blinkt. Ist das
nicht eine übergriffige Tat? Darf ich dem anderen so ungefragt
nahekommen, ja ihn gleichermaßen zu seinem Glück zwingen? Ich weiß
schon, was für dich das Richtige ist und dann leite ich es entsprechend in die
Wege. Nein, ich denke, das darf ich, dürfen wir nicht. Hier bleibt für mich
eine Grenze. Das mag ein moderner Gedanke sein, aber wir leben ja in der
Moderne. So, ohne zu fragen, tatkräftig werden, dürfen wir nicht. Wir wissen
nicht besser über den anderen Bescheid als er selbst. Wir wissen nicht, was
er wirklich braucht. Die Hand reichen, dürfen, ja sollen wir, ergreifen muss
sie der andere – und dann kann ich ziehen und ihm oder ihr auf die Beine
helfen.
In seiner Geschichte hat das Christentum an vielen Stellen diese schmale
Grenze überschritten und gewalttätig und übergriffig gehandelt. In
Gegenwart und Zukunft können wir so nicht mehr handeln und müssen
zurückhaltender auftreten.
Danach ist nur noch pure Freude. So nachdenklich mich das Zupacken
Petrus macht, so wunderbar ist zu lesen und zu erleben, was dadurch
ausgelöst wurde. Der Gelähmte hüpft und springt vor Freude – welch
Befreiung, welche Lebenslust, welche Last ist von ihm gefallen. Und wie
ansteckend ist diese für alle drumherum! Alle, die es miterlebt haben, die ihn
sie sehen, freuen sich mit ihm und sie ziehen in den Tempel und loben und
preisen Gott.
Wie kommen wir dahin, dass es in unseren Gemeinden ähnlich zugeht, frage
ich mich? Mir kommt der alte Satz von Nietzsche in den Sinn: „Die Christen
müssten erlöster aussehen.“ Wie könnte es gelingen, dass Sie jetzt alle hier
aufstehn und tanzen? Kann ich was machen? Oder Gott? Oder der Umstand,
dass wir Heidi gleich zur Pastorin ordinieren? Nun, wenn es nicht dazu
kommt, dann kommt es heute nicht dazu. In Jerusalem haben sie ja auch
nicht ständig getanzt.
Und dennoch möchte ich diese Vision, dieses Leitbild gerne behalten.
Christliche Gemeinde sollte so sein, dass Menschen angezogen werden und
sich auf ihren Stufen niederlassen. Wir Gemeindeglieder sollen diese
Menschen dort sehen und genau hinschauen, um zu erkennen, was sie
suchen, was ihnen fehlt. Ja, und dann können wir ihnen die Hand reichen,
erzählen von dem, was uns trägt und in Bewegung hält. Warum wir in diese
Kirche gehen und wer unser Gott ist. Und wenn dann einer die Hand ergreift
und mit uns hineingeht, dann wird die Freude groß sein, bei ihm und uns.
Denn sein Leben hat sich von Grund auf geändert. Er hat gefunden, was er
gesucht hat. Sie ist gefunden worden von dem, der immer wieder auf der
Suche nach uns ist, seinen verlorenen Schafen. Und so gibt jeder von ihnen
auch etwas in unsere Gemeinschaft hinein. Nun betrachte ich voll Freude
den, den ich zuvor auf der Treppe draußen eigentlich nicht beachtet habe und
nur schnell entkommen wollte. Ich sehe seine Freude und spüre meine
Freude darüber. Und vielleicht tanzen wir sogar.