Predigt über Epheser 3,14-21
Heute vor einer Woche, am Sonntag Rogate, liebe Gemeinde, hat der neue Papst Leo XIV. seine römische Bischofskirche San Giovanni in Laterano „in Besitz genommen“, wie es offiziell heißt. Diese Kirche ist nach ihrem Selbstverständnis nicht nur die Bischofskirche von Rom, sondern „Mutter und Haupt aller Kirchen der Stadt und des Erdkreises“. Dieser Anspruch leitet sich aus der schon früh im 4. Jahrhundert als älteste der päpstlichen Basiliken Roms gegründeten Kirche her und auch daher, dass sie, anders als Sankt Peter und Sankt Paul innerhalb der damaligen Stadtmauern lag. Den Ausdruck „Mutterkirche“ hat Papst Leo in seiner Predigt auf ganz eigene Weise aufgenommen. Es sei nämlich Aufgabe der Kirche, mütterlich zu sein. „Zärtlichkeit, Opferbereitschaft und jene Fähigkeit zuzuhören, die es nicht nur ermöglicht, zu helfen, sondern oft auch Bedürfnissen und Erwartungen zu begegnen, noch bevor sie ausgesprochen werden. Das sind Eigenschaften, von denen wir hoffen, dass sie überall im Volk Gottes wachsen, auch hier, in unserer großen Bistumsfamilie: bei den Gläubigen, bei den Hirten, allen voran bei mir“, so heißt es in seiner Predigt.
Nun wissen wir heute auch, dass die Kirche vielfältig ist. Sie existiert in vielen Ausprägungen, in unterschiedlichen Konfessionen und Strömungen, von denen etliche, so auch wir als evangelisch-lutherische Christen, ihr Verständnis, Kirche Jesu Christi zu sein, nicht von der Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom herleiten und auch nicht daher, dass die Lateranbasilika die Mutter aller Kirchen weltweit sei. Die Kirche ist bunt und vielfältig. In ihr werden unterschiedliche Auffassungen, zum Beispiel zum Priesteramt, zur Eucharistie und zur Anbetung Marias vertreten. Die Gläubigen bringen verschiedene Fertigkeiten und Begabungen mit und bereichern das Leben der Kirche in unterschiedlicher Weise. Hier, in unserer eigenen Gemeinde, können wir das immer wieder erleben. Sehr verschieden sind die Menschen, die zur Gemeinde gehören, jeder und jede trägt seinen und ihren Teil zum Ganzen bei. Diese Vielfalt ist der Reichtum der christlichen Kirche. Sie lebt davon, dass sich in ihr Menschen in unterschiedlicher Weise engagieren und so die Botschaft von Gottes Liebe zu dieser Welt und zu uns Menschen verbreiten. Das kommt auch in der Predigt von Papst Leo in der Lateranbasilika zum Ausdruck. Die Gemeinschaft der Kirche sei eine Gabe des Heiligen Geistes, um die die Gläubigen auf Knien beten sollten, so heißt es dort, denn nur aus dem Geist Gottes könne die Kirche leben.
Das führt uns direkt zum Predigttext für den heutigen Sonntag Exaudi. Auch in diesem Text geht es darum, dass der Verfasser seine Knie vor Gott beugt und ihn um seinen Geist bittet. Und auch sein Thema ist die Grundlage der Kirche, das, wovon unser Glaube lebt. Der Text ist ein überaus eindrückliches, ein poetisches Gebet, das in ein überschwängliches Lob Gottes einmündet. Er steht im Epheserbrief, den ein gelehriger Schüler des Apostels Paulus verfasst hat. Er führt die Gedanken des Paulus weiter und bezieht sie auf die Kirche seiner eigenen Zeit. Im Text für den heutigen Sonntag schreibt er den Adressaten, die für die ganze Kirche stehen, dass er für sie bittet, sie mögen von Gott das erhalten, worauf sich ihre Gemeinschaft gründet, woher sie ihre Kraft und ihre Hoffnung beziehen. Hören wir den Text aus dem dritten Kapitel des Epheserbriefs.
Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, von dem jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden seinen Namen hat, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne.
Und ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet, damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet, bis ihr die ganze Fülle Gottes erlangt habt. Dem aber, der über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen können, weit mehr zu tun vermag, gemäß der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Kirche und in Christus Jesus durch alle Geschlechter von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Was sofort auffällt, liebe Gemeinde, wenn wir diesen Text lesen, ist, dass darin nicht von Bischöfen und Strukturen, nicht von Organisation und Geld, schon gar nicht von Kirchengebäuden – etwa einer päpstlichen Basilika – oder von Ämtern in der Kirche die Rede ist. Das alles hat im Christentum von früher Zeit an eine Rolle gespielt und auch im Neuen Testament finden sich dazu schon Ausführungen. Aber wenn es darum geht, was die Kirche im Innersten zusammenhält, wovon wir als an Gott und Jesus Christus Glaubende leben, dann rückt etwas anderes in den Blick: das Gestärktwerden durch den Geist, dass Christus in unseren Herzen wohnt, und dass wir die Liebe Christi erkennen mögen, die alles Verstehen übersteigt. Dem Verfasser des Epheserbriefes, der auch von Aposteln und Propheten, von Hirten und Lehrern sprechen kann, die für die Kirche wichtig sind, ist demnach durchaus bewusst, dass unser Glaube Strukturen und Formen braucht, dass es aber letztlich darauf ankommt, dass wir uns von Gottes Geist stärken und erfüllen lassen. Kirche Jesu Christi können wir nur sein, wenn wir uns das immer wieder bewusst machen. Das ist der Kern des heutigen Predigttextes. Die Einheit der Kirche, dasjenige, was uns als Gläubige überall auf der Welt und über alle Konfessionen hinweg erkennbar macht, ist, um noch einmal Papst Leo zu zitieren, „uns innerlich zu reinigen, unsere Worte einfach, unsere Wünsche ehrlich und klar und unsere Taten großzügig zu machen“.
Dass sich der neue Papst bei seiner ersten Predigt in der römischen Bischofskirche in dieser Weise ausgedrückt hat, lässt sich also ganz unmittelbar mit unserem Predigttext in Verbindung bringen und es lässt sich auch ökumenisch verstehen. Es gehe darum, so Leo, den Glauben lebendig zu bezeugen in einer Welt, in der es viel Leid, viel Gewalt und Armut gibt. Überall im Volk Gottes müsse die Bereitschaft wachsen, für die Menschen da zu sein, die der Zuwendung und Hilfe bedürfen. Dieser Orientierung des christlichen Glaubens können wir als evangelische Christen natürlich ohne jeden Vorbehalt zustimmen, denn dieses Verständnis ist nicht gebunden an eine bestimmte Konfession, auch nicht an die Kirchengemeinschaft mit dem Bischof von Rom. Darin kommt vielmehr in ganz zentraler und genereller Weise zur Sprache, worum es geht, wenn wir glaubhaft Kirche Jesu Christi in dieser Welt sein wollen.
Der heutige Sonntag Exaudi ist der Sonntag zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Es ist die Zeit des Kirchenjahres, die vom Weggang Jesu hin zur Ausgießung des Geistes führt. Wir haben vorhin in der Evangeliumslesung vom Abschied Jesu aus dieser Welt gehört. „Es ist gut für euch, dass ich weggehe, sagt Jesus dort zu den Jüngern. Das ist zunächst eine verwunderliche Aussage. Was soll für die Jünger daran gut sein, dass Jesus sie verlässt? Die Erklärung, die Jesus gibt, lautet, dass nur so der „Tröster“ kommen kann. Gemeint ist damit der Heilige Geist, der die Gemeinde von nun an leiten soll. Damit vollendet sich der Weg Jesu und zugleich wird auf diese Weise auch der christliche Glaube an Vater, Sohn und Heiligen Geist zu seiner Vollendung geführt. Das Bekenntnis des christlichen Glaubens besteht von früher Zeit an aus den drei Teilen, in denen wir uns zu Gott als Vater, als Sohn und als Heiligem Geist bekennen. In jedem Gottesdienst sprechen wir dieses Bekenntnis. Und in diesem Jahr wird insbesondere des wichtigen Bekenntnisses gedacht, das vor 1700 Jahren in Nizäa formuliert wurde: auf Tagungen und in Vorträgen, aber natürlich auch in Gottesdiensten und im Leben der Kirche. Auch der Frauenkreis unserer Gemeinde wird sich am kommenden Mittwoch mit diesem Thema beschäftigen: mit dem Bekenntnis von Nizäa und seiner Bedeutung in der Geschichte der christlichen Kirchen. Dieses Bekenntnis ist darum so besonders, weil es die Grundlage für die Kirchengemeinschaft bildete und noch immer bildet. Erst im Laufe der späteren Jahrhunderte haben sich die Konfessionen herausgebildet und dann auch voneinander abgegrenzt. Das Bekenntnis von Nizäa entstand vor diesen Entwicklungen und es wird bis heute von allen Konfessionen akzeptiert. Das Bedenken der gemeinsamen Grundlagen unseres Glaubens erinnert uns deshalb daran, was uns als Christen miteinander verbindet, worin unser gemeinsamer Glaube und unser gemeinsamer Auftrag für diese Welt besteht.
Der Predigttext aus dem Epheserbrief; die Predigt, die Papst Leo vor einer Woche in San Giovanni in Laterano gehalten hat; das Bekenntnis von Nizäa – all dies führt uns auf je eigene Weise vor Augen, was im Zentrum unseres Glaubens und auch im Zentrum desjenigen Teils des Kirchenjahres steht, in dem wir uns gerade befinden. Es ist der Glaube an den Gott, der sich in Jesus Christus in dieser Welt offenbart hat und der durch seinen Geist noch immer in der Welt wirkt.
Die Stärkung des „inneren Menschen“, die Verwurzelung in der Liebe Christi – diese Aspekte hebt der Predigttext besonders hervor. Stark sein aus der Liebe Christi, die in unseren Herzen wohnt – das lässt uns zuversichtlich den Herausforderungen gegenübertreten, mit denen wir in dieser Welt konfrontiert sind, in unserem privaten Leben und in der Gesellschaft, in der wir leben. Wir brauchen diese Stärkung, wir brauchen die Liebe Christi in unseren Herzen, um die Zuversicht und die Orientierung nicht zu verlieren in all der Unübersichtlichkeit und den komplizierten Verhältnissen, die mitunter übermächtig erscheinen und denen gegenüber wir uns ohnmächtig fühlen können. Gerade in diesen Zeiten, wo Frieden, Respekt, Barmherzigkeit und Anstand immer mehr zu Begriffen werden, an die man sich vielleicht noch als Werte aus vergangenen Zeiten erinnert, die aber für die Gegenwart an Bedeutung verlieren – gerade in einer solchen Zeit ist es wichtig, dass wir uns auf die Grundlagen unseres Glaubens besinnen, darauf, was uns als christliche Kirche in der Welt auszeichnet und wofür wir mit unserem Bekenntnis einstehen.
Auch als christliche Kirchen leben wir in einer Zeit des Umbruchs und der Veränderungen. In unseren europäischen Ländern ist die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Zahl der Christen nimmt ab, in anderen Teilen der Erde dagegen wachsen die Kirchen. Warum das so ist, lässt sich nicht so einfach beantworten, aber es fordert uns jedenfalls in besonderer Weise dazu heraus, unseren Glauben wahrhaftig zu leben und den Menschen zu bezeugen.
Dagegen kann es nicht unser Auftrag sein, dem Bedeutungsverlust der christlichen Kirchen, den wir in unseren Ländern erleben, dadurch zu begegnen, dass wir die Kirche zu einem Ort machen, an dem es vor allem um politische Botschaften und weniger um die Botschaft des Evangeliums geht. Die Journalistin Hannah Bethke hat gerade ein provokantes Buch mit dem Titel „Vom Glauben abgefallen. Mut zur Christlichkeit statt Angst vor dem Zeitgeist: Eine Antwort auf die Krise der evangelischen Kirche“ veröffentlicht. Darin geht es um die evangelische Kirche in Deutschland, aber was sie als zentrale Aufgabe christlicher Kirche einfordert, lässt sich durchaus auf die christlichen Kirchen insgesamt beziehen. Ihrem Bedeutungsverlust können die Kirchen nicht dadurch begegnen, dass sie ihre Botschaft verwässern, sie daran anpassen, was gerade im Trend liegt oder einer bestimmten politischen Sichtweise entspricht. Christliche Kirche muss stattdessen den Glauben an den dreieinigen Gott in den Mittelpunkt stellen. Sie muss das Evangelium als die Botschaft vom Heil Gottes verkünden, die allen Menschen gilt. Christliche Kirche muss davon reden, was der Mensch als Gottes Geschöpf und sein Ebenbild ist: ein geliebtes und der Erlösung bedürftiges Wesen. Im Glauben an den dreieinigen Gott geht es um die zentralen Fragen des Menschseins: um Schuld und Vergebung, um Tod und Auferstehung, um Zeit und Ewigkeit. Das sollen wir als Christen in der Welt bezeugen, aus dem Vertrauen auf Gott, der das Heil aller Menschen will, dürfen wir leben.
Das hymnische Gebet aus dem Epheserbrief spricht in dreifacher, in trinitarischer Weise von Gott. Noch nicht so, wie es die späteren Konzilien und Synoden werden, aber so, dass die tiefe Bedeutung des Glaubens an den dreieinigen Gott deutlich wird, der durch Christus in unseren Herzen wohnt, der uns stärkt durch seinen Geist, damit wir in seiner Fülle leben. Und so führt uns der Predigttext für den heutigen Sonntag mitten hinein ins Zentrum unseres Glaubens. Wenn es am Schluss heißt, dass Gott „über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen können, weit mehr zu tun vermag, gemäß der Kraft, die in uns wirkt“, dann ist damit der Weg der Kirche Jesu Christi in dieser Welt fest gegründet auf Gottes Wirken durch uns. In dieser Gewissheit dürfen wir in die Zeit gehen, die vor uns liegt. Wir dürfen uns führen lassen durch Gottes Geist, der uns darin bestärkt, den Glauben an den dreieinigen Gott den Menschen zu bezeugen und aus diesem Glauben Kraft und Zuversicht zu schöpfen. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.