Liebe Gemeinde,

unser Bibelwort für die Predigt ist heute nicht etwa, wie so oft, das Evangelium dieses Sonntags oder ein andere der Lesungen. Nein, das Bibelwort für unsere Predigt heute ist der Psalm, den wir am Anfang gebetet haben: „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth!“ Und wir verstehen sofort, warum dieser Psalm für das Kirchweihfest ausgewählt wurde.

Psalm 84 spricht von den Wohnungen Gottes. Er spricht von der Freude am Haus Gottes. Er spricht davon, wie gut es ist, im Heiligtum Gottes zu sein. Und er geht dabei aus vom Tempel in Jerusalem.

 

„Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth!“. Wir könnten uns heute schon allein an der sprachlichen Schönheit dieses Psalms freuen. Wir könnten genießen, dass dieser Psalm im Unterschied zu vielen anderen Psalmen nur positive Gedanken bietet. Wir könnten in Gedanken die vielen bekannten und weniger bekannten Vertonungen dieses Psalms erklingen lassen.

„Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth!“.

 

Aber wir können auch einige ganz handfeste Beobachtungen an diesem Psalm machen, denn wir sollen uns ja nicht nur freuen, sondern auch etwas besser verstehen und dazulernen. Das ist ja immerhin auch die Aufgabe einer Predigt.

Und wenn wir den Psalm 84 an einigen Stellen besser verstehen, dann verstehen wir auch besser, was wir heute feiern und bedenken wollen: Die Bedeutung und Rolle unseres Kirchengebäudes.

Das Wort Gottes will den Sonntag oder unser Leben ja nicht nur „verschönern“ oder mit einer frommen Soße übergießen, sondern immer wieder klären und uns näher und direkter zu Gott führen.

 

 

I.

Lasst uns also einige Beobachtungen an diesem wunderbaren Psalm machen – gleich zum ersten Vers:

„Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth!“.

„Lieblich“ heißt hier nicht „schön“ oder „anziehend“. „Lieblich“ ist hier kein ästhetischer Begriff, sondern ein sozialer!

„Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth.“, müsste man eigentlich sagen. „Wie sehr hänge ich an deinen Wohnungen“.

Der Psalm beschreibt an keiner Stelle die Schönheit des Tempels – weder die architektonische, noch die künstlerische. Haben Sie das gemerkt?

Das ist bemerkenswert! Israel war unglaublich stolz auf seinen Tempel. Und dieser Tempel konnte durchaus mithalten mit den großen Heiligtümern der anderen Völker. Aber hier kein Wort über seine Dimensionen und seine Ausstattung!

Kirchen – zumal in Rom – müssen schön sein, denken wir. Und auch unsere kleine und junge Christuskirche kann einigermaßen mithalten mit den großen und alten Basiliken dieser Stadt. Die goldenen Mosaiken glitzern und beindrucken bis heute alle. Marmor und Gold zeigen, dass der Glaube etwas Kostbares ist. Allein schon diese Kanzel in ihren Dimensionen und mit ihren Reliefs will schön sein.

Aber all das macht – wenn wir von Psalm 84 ausgehen – eine Wohnung Gottes nicht aus. Schönheit ist keine Voraussetzung für das Haus Gottes.

Wir wünschen uns Schönheit. Wir können dankbar sein, dass wir eine schöne Kirche haben. Wir können stolz sein, dass wir eine besonders prächtige evangelische Kirche haben. Wir sollen auch darauf achten, dass sie schön und gepflegt und attraktiv ist und bleibt.

Aber das alles macht sie nicht automatisch zum Haus Gottes!

Das ist eine fast schon protestantische Erkenntnis, die man im katholischen Rom fast vergessen kann. Was uns zu Gott zieht, ist nicht die Ästhetik, sondern es muss etwas anderes sein.

„Lieblich“ sind die Wohnungen Gottes nicht, weil sie schön sind, sondern weil sie etwas ganz anderes bieten.

 

II.

Und damit sind wir bei der zweiten Beobachtung:

Das Haus Gottes bietet Schutz! Das ist die zentrale Aussage von Psalm 84.

Das ist es, was den Beter anzieht, was ihm lieb und teuer ist: Nicht die Größe und Verzierung, sondern der Schutz, der das Haus Gottes bietet.

 

„Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen: Deine Altäre, mein König und mein Gott!“

 

Die Psalmdichter haben eine feine Beobachtung gemacht. Unter den hohen Vordächern und zwischen den Dachbalken des Tempels haben Schwalben ihre Nester gebaut. Wir kennen das. Und diese ganz natürliche und ganz alltägliche Tatsache wird geistlich gedeutet. Das ist das Besondere!

Die Schwalben mit ihren Jungen werden zum Beispiel für uns. Die Vögel werden zum Vorbild für uns, im Hause Gottes Unterschlupf und Schutz zu suchen. Was die kleinen Tiere aus Instinkt machen, könnte für uns Menschen Vorbild sein: Sie nutzen die Sicherheit, die Gottes Haus bietet.

Viele Menschen suchen ihre Sicherheit woanders.

Wie an anderen Stellen der Bibel werden hier Tiere zum Vorbild und sollten den vermeintlich überlegenen Menschen eigentlich beschämen.

„Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt’s nicht, und mein Volk versteht’s nicht.“, sagt der Prophet Jesaja (1,3), und unser Psalm stellt die Schwalben den Menschen gegenüber, die lieber als Frevler und Gottlose in Zelten wohnen, statt unter den steinernen Säulen des Tempels.

 

Es geht im Hause Gottes um Schutz. Das können wir in jedem Fall von den kleinen Schwalben lernen.

Und was mit diesem zarten Bild gesagt ist, wird auch durch andere Bilder ausgedrückt.

Das ist zunächst einmal der Gottesname „Herr Zebaoth“, der ja gleich im ersten Vers erscheint:

„Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth“. Was bedeutet dieses hebräische Wort? „Zebaoth“: Das sind die „Heere“. Gott ist der „Gott der Heerscharen“. Damit sind keine menschlichen Soldaten gemeint, sondern himmlische Heerscharen: Engel und kosmische Mächte. Der Gott Israels ist kein schwächlicher Gott, sondern ein mächtiger Gott, der Himmel und Erde in der Hand hat. Der lebendige Gott ist kein alter, schwacher oder gar sterbender Gott, wie ihn die Neuzeit und ihre Religionskritik gerne giftig darstellt. Schwächelnde Kirche ist gleich schwächelnder Gott. Immer weniger Menschen glauben an Gott: Deshalb verringert sich seine Macht.

So denken viele.

Aber das ist vollkommen falsch. Man kann von der Schwäche der Kirche oder der Zahl der Gläubigen nicht auf die Macht Gottes schließen.

Heute nicht und damals auch nicht.

Das kleine Israel war von Völkern umgeben, die wesentlich größer und mächtiger waren und die mehr und spektakuläre Gottheiten hatten.

Und genau in dieser Position der Unterlegenheit bekennt Israel: Unser Gott ist der Herr Zebaoth. Er ist der Herr der kosmischen Mächte! Nicht die Kriegsgötter der anderen. Nicht die Sonne oder der Mond.

Unser Gott ist Sonne und Schild! Der Herr gibt Gnade und Ehre!

Nicht die Gestirne, nicht menschliche Machthaber, nicht falsche Götzen!

Unser Gott ist stark – auch wenn die gelebte Realität anders aussieht.

Ich sage es nochmals, weil es ganz wichtig ist: Man darf niemals von der Stärke und Zahl der Gläubigen auf die Stärke und Macht Gottes rückschließen.

In Rom sehen wir, dass sich die Kirche lange als Ecclesia triumphans dargestellt hat und damit auch zeigen will: Wir sind stark, zu uns gehören alle: Damit muss unser Glaube auch wahr sein. Das ist menschlich, aber das ist auch gefährlich!

Israel lehrt uns:

Auch wenn wir wenige sind, auch wenn wir schwach sind, auch wenn andere uns verspotten: Unser Gott ist stark! Er ist der Herr der Heerscharen!

Und wir sollten uns das jedes Mal klarmachen, wenn wir das hören und beim Hl. Abendmahl singen: „Heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll.“

„Herr Zebaoth“: Das ist ein Bekenntnis zur Stärke Gottes – bei aller unserer Schwäche.

„Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten.“ – und nicht sich selbst!

Mit dem Gottestitel „Zebaoth“, dem „Herrn der Heerscharen“ hat der Psalm klargemacht:

Gott ist unsere Schutzmacht.

Das Haus Gottes ist weniger ein Denkmal als vielmehr eine Schutzhütte.

Was eine Kirche auszeichnet, ist, dass sie Schutz bietet, ewigen Schutz und Zuflucht.

Damit kommen wir zu einem ganz und gar protestantischen Bild von Kirche:

„Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen“. Dieses Lied auf der Grundlage von Psalm 46 spricht vom Haus Gottes weniger „lieblich“ als vielmehr recht martialisch. Die Bilder sind härter als die von Psalm 84, aber sie treffen genauso zu!

Es geht bei der Kirche weniger um ein glänzendes „Haus voll Glorie“, als vielmehr um eine Schutzhütte – wie bescheiden diese auch immer aussehen mag – solange sie Unterschlupf bietet für die leidende Kreatur.

Wer schon einmal draußen in ein schweres Unwetter geraten ist, der weiß, dass man dann keinen Marmorsaal sucht und auch keinen Raum mit goldenen Mosaiken. Wer verloren in den Bergen Zuflucht sucht, ist dankbar für jeden Unterschlupf: So existentiell soll unsere Haltung zum Haus Gottes sein. Wer Schutz sucht, findet es bei ihm. Und damit sind wir wieder bei den Schwalben.

Es geht um Schutz. Das haben wir auch in der ersten Lesung heute aus der Offenbarung gehört: Da wurde vom großen, strahlenden himmlischen Jerusalem am Ende der Zeiten gesprochen in den schönsten Farben.

Und dann heißt es: „Siehe da, die Hütte Gottes bei dem Menschen.“ (Apk 21,3). Wieso denn auf einmal „Hütte“? Der Begriff passt doch gar nicht!

Doch – weil es um Schutz geht! Bei Gottes Gegenwart unter uns geht es nicht um Pracht und Glanz, sondern letztendlich immer darum, dass er uns eine Schutzhütte bietet.

Auch das himmlische Jerusalem zeichnet sich am Ende auch nicht dadurch aus, wie prächtig es ist, sondern dadurch, dass „Gott abwischen wird alle Tränen von unseren Augen“ (Apk 21,4).

Was wir Menschen suchen und brauchen und am Ende und schon jetzt bei Gott finden sollen, ist Annahme, Verständnis, Trost.

Darum geht es – und darum muss es auch in unserem Kirchengebäude gehen – bei all seiner Schönheit.

 

III.

Eine letzte Beobachtung:

„Wie lieblich sind deine Wohnungen“: Warum steht hier die Mehrzahl?

Warum spricht der Psalm von Wohnungen und nicht von der einen Wohnung Gottes, wo es doch nur einen Tempel für Israel gab?

Man könnte sagen, der Plural drückt die Größe und Ausdehnung des Tempels aus. Gott hat ja nicht nur ein Zimmer, sondern einen riesigen Komplex zur Verfügung. Man könnte sagen, der Plural von Wohnungen entspricht sprachlich den „Vorhöfen des Herrn“, die ja in der Tat mehrere waren.

Was auch immer die sprachlichen Ursachen dafür waren, dass unser Psalm 84 von „Wohnungen“ spricht: Er gibt uns damit ein wunderbares Signal.

Gott lässt sich nicht auf einen Wohnort festlegen.

Bei Gottes Aufenthaltsort muss immer im Plural gesprochen werden!

Gott wohnt nicht ausschließlich in Jerusalem. Gott lässt sich nicht eingrenzen auf Rom oder Konstantinopel, aber auch nicht auf Wittenberg oder Genf!

Gott nimmt Wohnung, wo immer er will.

Gott ist Menschen nah, wo immer sie Zuflucht bei ihm suchen.

Als Jesus einmal mit einer Frau über den richtigen Ort der Anbetung diskutiert hat, hat er deutlich gesagt:

„Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ – und nicht an einem bestimmten Ort (Joh 4,24).

Es gibt nicht eine Kirche, ein Heiligtum, einen Zentralort,

sondern Kirche ist da, wo Gott einkehrt mit seinem Wort und seinem Sakrament.

Jesus geht in das Haus des Zöllners Zachäus und macht diesen Sünder heil.

So wird dieses bedeutungslose und wahrscheinlich eher anrüchige Haus zum Heiligtum: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren (Luk 19,9)“, weil Jesus sein erlösendes Wort spricht.

Oder denken wir an das unbekannte Haus, in das die beiden Jünger am Auferstehungstag in Emmaus einkehrten. Beim Abendmahl, als Jesus das Brot bracht, erkannten sie ihn – und diese bedeutungslose Herberge wurde ihnen zum Heiligtum auf Erden – weil sie Jesus erkannten.

Ja, Gottes Wohnungen sind viele – genauso viele wie Menschen Jesus wirklich begegnen.

Möge unsere Kirche immer wieder eine dieser Wohnungen sein, denn das ist ihre Bestimmung!

 

„In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.“, sagt Jesus zu seinen Jüngern (Joh 14,2). Auch hier wie in Psalm 84 die Mehrzahl.

Gott zwingt uns nicht in einen großen Saal, sondern hält viele einzelne Wohnungen für uns bereit. Unsere Einzigartigkeit und unser persönlicher Wert gelten vor ihm.

„In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.“

Jesus spricht dabei nicht mehr vom Tempel, sondern von dem, was uns nach dem Tod erwartet.

Aber damit schließt sich der Kreis. Denn eines haben irdische und himmlische Wohnungen Gottes gemeinsam:

Hier sind wir aufgehoben. Hier gehören wir hin. Hier sollen wir sein.

Wer sich jetzt schon in der Gegenwart Gottes wohlfühlt, wird im Himmel sein Glück kaum fassen können.

Und wer sich jetzt noch an mancher allzu menschlichen Eigenheit seiner Kirche auf der Erde stört, der kann gewiss sein, dass damit im Himmel Schluss sein wird.

Im Himmel wie auf Erden ist aber eines klar:

Gottes Haus ist unsere Schutzhütte. Zu ihm können wir kommen.

Heute finden wir Trost. Dann aber finden wir absolute Sicherheit.

Und so kann man es nicht besser sagen als Psalm 84 selbst:

„Wohl denen, die in deinem Hause wohnen.

Die loben sich immerdar:“ Heute schon hier und dann bis in alle Ewigkeit.

Amen.

Kirchweihfest – Pfr. Dr. Jonas