Johannes 10, 11-16

Liebe Gemeinde!

I.

Wie lieblich ist der Maien… Wir befinden uns im Frühling. Die Sonne setzt sich mit ihrer milden Wärme durch. Die Natur um herum ist in den schönsten Farben erwacht. Und passend dazu bedenkt die Kirche am Sonntag des Guten Hirten ein wunderschönes Thema. Der zweite Sonntag nach Ostern widmet sich dem verbreiteten und beliebten Bild des Herrn als Hirten. „…. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.“ Und schon finden wir uns – Ostern im Rücken und den Frühling vor Augen – in einer wunderbaren Szenerie wieder. In einer heilen Welt von blühenden Auen und grünen Wiesen, in einer friedlichen Natur und harmonischer Ruhe.

Idyllisch und problemlos, wie wir und das Leben manchmal wünschten.

Idyllisch und problemlos, wie sich viele auch die Wirkungen Gottes wünschten – und deshalb enttäuscht sind.

Das scheinbar problemlose Bild von Jesus findet sich schon in den Katakomben. Oft finden wir da als Bild den Guten Hirten.

Jesus als junger Mann mit Hirtenstab und Lamm.

Dieses Motiv schien den frühen Christen ausgesprochen gut gefallen zu haben. Warum war der Gute Hirte so beliebt?

Zunächst einmal war in der damaligen Kultur das Hirtenmotiv sowieso überall beliebt. Auch die Heiden und sonstigen Römer ließen sich Bilder und Figuren von Hirten aufstellen. Das Motiv war „in“. Der römischer Dichter Vergil schrieb „Hirtengedichte“ und halb Rom malte sich aus, wie es wohl wäre, abseits aller Politik und Arbeit, ein beschauliches Lebens auf dem Lande im Schatten der Bäume und beim Klang der Flöte zu verbringen.

Hirtenleben war „in“ und ist auch heute noch „in“ – auch wenn man die ganze Sache vielleicht viel zu idyllisch und problemlos vorstellt.

 

Die frühen Christen konnten mit ihrem Herrn als Hirten jedenfalls anknüpfen können an die Mode der Zeit.

Der Gute Hirte war da ein Bild, mit dem man umgehen konnte, das alle irgendwie schön und passend fanden.

 

Jetzt könnten wir aber auch auf die Idee kommen, dass der Gute Hirte insgesamt auch das schönere und das passendere Bild für den Glauben ist.

Das Bild vom Hirten ist lieblich, friedlich und ruhig. Es stört nicht.

Während das Kreuz provoziert, Gewalt darstellt und an ein Opfer erinnert,

hören wir beim Guten Hirten die Bienen summen, stellen uns grüne Auen vor und denken an unbeschwertes Landleben – auch wenn die meisten von uns in der Industrie arbeiten.

Wir sehen saftige grüne Auen, ruhig dahinfließendes erfrischendes Wasser, zufrieden blökende Schafe, wohlbehütet und beim Weidewechsel sicher geleitet von ihrem Hirten, der die Herde schützt und zusammenhält.

 

Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.

Das ist ein problemloser alter Psalm. Vielleicht ist er deshalb so beliebt.

Dieser Psalmvers weckt tiefe Zustimmung, er verbreitet Vertrauen.

Der Herr ist mein Hirte.

Das spricht für sich und braucht keine Auslegung.

Das ist schon gut für Kinder. Und das lieben auch die alten Menschen in ihren letzten Tagen.

Zu Recht lernen das unsere Konfirmanden.

Das ist der Gute Hirte und er beschützt mich wie ein Schaf.

 

II.

Aber wir müssen die grünen Auen noch einmal verlassen.

Denn um eine kindlich-süße Idylle geht es hier nicht.

Und auch nicht um eine verträumte Vorstellung einer alt gewordenen Religion, die vielleicht noch gut ist für die  Alten in unserer Gesellschaft und für die ganz Kleinen, die aber nichts bringt für die, die im wahren Leben stehen: sei es in der Schule, in der Arbeitswelt oder in der Politik.

Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen. (Bismarck, Schmidt)

Und mit dem Guten Hirten auf grüner Aue schon zweimal nicht.

„Blühende Landschaften“ sollten nicht zu schnell vor Augen gemalt werden.

 

Weder der alte Psalm 23, noch die Selbstbezeichnung Jesu als Guter Hirte sind süßlich und problemlos.

Das wussten die alten Beter des Alten Testaments, denen das finstere Tal nicht fremd war.

Das wussten auch die frühen Christen, die Jesus als Guten Hirten auf die Wände der Katakomben malten oder sich dieses Bild für die Verschlussplatten ihrer Gräber wünschten.

 

Der Gute Hirte steht dem Heiland am Kreuz nicht gegenüber.

Der Gute Hirte ist nicht die sanfte Version für die, die das Leiden ausblenden wollen.

Die Darstellung des Guten Hirten ist keine Alternative zu Jesus am Kreuz, sondern nur ein Bild für dasselbe.

Wenn Jesus sich selbst den Guten Hirten nennt,

dann identifiziert er sich nicht nur in für Juden unerhörter Weise mit dem Gott Israels und gibt dem Hirten aus Psalm 23 ein Gesicht,

sondern dann macht Jesus durch seine Worte klar, wie dieser Hirte ist.

Und da heißt es zuerst:

Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.

Die Hingabe am Kreuz ist hier nicht weggelassen, sondern eingeschlossen.

Dieser Hirte schenkt nicht den Kelch nicht nur voll ein mit dem Wein, den er reichlich hat, sondern dieser Hirte füllt den Kelch mit seinem eigenen Blut, das er schmerzvoll vergossen hat.

Und das ist mehr als eine süße Idylle vom Landleben und grünen Auen.

Das ist ein Hirte mit hohem Einsatz.

Er tut für seine Schafe nicht viel, sondern alles!

 

Dass die Kirche die biblischen Bilder des Guten Hirten in der Osterzeit liest, liegt darum nicht an der wunderbaren Jahreszeit und an der erwachenden Natur!

„Geh aus mein Herz und suche Freud“ – das singen wir im Sommer.

Der Grund für das Hirten-Thema jetzt liegt im Oster-Geschehen, wie es in einem ganz anderen Lied zum Ausdruck kommt:

 

Surrexit pastor bonus
qui posuit animam suam pro ovibus suis
et pro suo grege mori dignatus est.

 

Auferstanden ist der Gute Hirte,

der sein Leben für seine Schafe ließ

und würdig war, für seine Herde zu sterben.

 

Dieses Responsorium aus dem Mittelalter erkennt in Jesus, der sein Leben gelassen hat und auferstanden ist, die klarste Verwirklichung des Hirtenbildes:

Nicht, weil der Auferstandene über grüne Wiesen schreitet, sondern weil er sein Leben für seine Herde eingesetzt hat.

Wie hatte Jesus gesagt?

„Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Ein schlechter Hirte sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht. Aber ich lasse mein Leben für die Schafe.“ (Joh 10,11.15)

 

Dieser Hirte beweist seine Stärke nicht in der Idylle grüner Weiden und des Landlebens, wie sich das die antike römische Literatur (Vergils Hirtengedichte) oder Beethoven in seiner Hirten-Symphonie (VI. „Pastorale“) so schön vorstellten.

Dieser Hirte beweist seine Stärke im finsteren Tal.

Diesen Hirten zeichnet nicht seine Sorglosigkeit aus oder sein einfacher Lebensstil, sondern sein Leiden.

Passt diese Information in österliche Freudenzeit?

 

Wenn wir Ostern feiern, würden wir diese schmerzhaften Formulierungen ja gerne hinter uns lassen. Wenn wir an Auferstehung denken, würden wir diese ganze Rede von Leiden, Sünde und Sühne ja gerne wegwischen.

So, als würden wir im Gesangbuch von der Rubrik „Passion“ endlich zur Rubrik „Ostern“ umblättern.

„O Haupt voll Blut und Wunden“ war gestern; heute gilt „Christ ist erstanden“. Gestern hieß es „Miserere“; heute „Halleluja“.

 

So selten solch ein krasser Stimmungswechsel in unserem gelebten Leben vorkommt, so unpassend ist er für das Schicksal des Guten Hirten!

Der Auferstandene lässt den Tod nicht einfach hinter sich, sondern er bringt uns seine Frucht.

Er hat das Leiden nicht vergessen, sondern trägt noch die Male der Nägel.

Christus hat den Tod nicht hinter sich gelassen, sondern er hat ihn besiegt.

Das Kreuz ist nicht vergangen, sondern ins rechte Licht gestellt!

Persönliches Leid ist nicht weggewischt, sondern wird geheilt.

 

Die Vorstellung Jesu als Gutem Hirten zeigt uns, dass Ostern kein göttlicher oder menschlicher Stimmungswechsel ist, sondern ein Heilungsgeschehen, ein Erlösungsprozess – vollzogen durch einen Hirten.

Durch seine Wunden sind wir geheilt. Weil er heil wurde, kann auch ich heil werden.

„Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“ –

Das ist kein Sprachbild mehr für die eine oder andere schwere Stunde, sondern meint hier sogar den Tod.

 

Christus ist dort. Er ist als guter Hirte diesen Weg souverän vorausgegangen. Das heißt Auferstehung. Er führt uns noch da, wo Ärzte, Eltern, Freunde und Partner uns loslassen müssen.

Der österliche Gute Hirte ist kein Frühlings-Idyll, sondern ein echter Retter!

 

 

III.

Und jetzt müssen wir noch über die Unterscheidung reden, die Jesus zwischen einem Hirten und einem Mietling macht.

Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.

Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht…

Ein Mietling ist ein angestellter Hirte, einer der seinen Job macht, aber nicht mehr. Er hat keinen persönlichen Bezug zu den Schafen.

Der Gute Hirte ist der Eigentümer der Schafe. Ihm geht es nicht nur um den Job, ihm geht es um sein Ein und Alles.

 

Wir haben in unserm Leben ein sehr gutes Gespür dafür, wer seinen Dienst als Mietling tut – nur aus Berechnung oder weil er muss, und wer sich wirklich einsetzt.

Der Arzt, der schnell abfertigt, weil er in Gedanken schon bei der nächsten Patientin ist.

Die Lehrerin, die nur immer die gleichen Arbeitsblätter austeilt, und den anstrengenden Fragen der Schüler nicht zuhört.

Der Automechaniker, der möglichst viel in der Rechnung unterbringen will, dem aber egal ist, wie lange der Wagen dann problemfrei fährt.

Die Kleiderverkäuferin, die schnell zum gesuchten Kleid noch passende anderes Accessoires vorschlägt, ohne wirklich zu spüren, ob der Kundin das Kleid wirklich gefällt.

Wir kennen Sie alle, die Mietlinge unserer Lebenswelt.

Aber es gibt auch die anderen:

Die Ärzte, die wirklich Anteil nehmen am Schicksal ihrer Patienten, die ein echtes Gespür haben, wo das nötig ist und wo nicht.

Die Lehrerinnen, die sich nicht nur für die Noten und Aufgaben interessieren, sondern für das Lebensglück ihrer Schüler.

Die Erzieherinnen, deren Engagement nicht beim Ende der Betreuungszeit aufhört und deren Gedanken auch noch nach Dienstschluss bei manchem Kind sind.

Die Geschäftsleute, die ehrlich sind, und auch einmal auf ein Geschäft verzichten, wenn sie erkennen, was der Kunde wirklich braucht.

 

Wir haben alle, liebe Gemeinde,

ein feines Gespür dafür, wer nur seinen Job macht, und wer sich wirklich um uns kümmert.

Und damit verstehen wir die Unterscheidung, die Jesus macht: zwischen Mietling und Guten Hirten.

Und wenn es um unser Leben geht, sollten wir uns ganz klar dem anvertrauen, der es ernst meint:

Jesus ist der Gute Hirte. Er machte nicht irgendeinen Job, sondern er gab sein Leben.

 

Und damit gewinnt das alte Wort vom Guten Hirten auch nochmal an Kontur.

Ein kluger Hirte berechnet Kosten und Nutzen.

Ein kluger Hirte will auch kein Schaf verlieren, weil es seinem Besitz dann fehlt.

Ein kluger Hirte wird seine Schafe auch regelmäßig zählen, weil er keinen Verlust haben will.

Ein kluger Hirte wird seine Schafe auch auf grüne Weide führen, weil er will, dass sie sich gut ernähren und kräftig wachsen.

Aber er macht das aus kluger Berechnung.

 

Jesus ist kein kluger Hirte, sondern ein guter Hirte.

Er überschreitet für seine Schafe sogar das Limit.

Er bewahrt sie nicht nur vor dem tödlichen Abgrund, sondern er stürzt sich selber in den Abgrund, um seine abgestürzten Kreaturen wieder zu holen.

Klug sieht anders aus.

Das ist mehr als Berechnung. Das ist Liebe.

Und deshalb hat dieser Gute Hirte unser Vertrauen verdient.

Das Vertrauen der Kinder, die sich an dieses Bild klammern.

Das Vertrauen der Alten, die mit diesem Bild vor Augen sterben können

Und, liebe Erwachsenen, das Kind in uns, das immer nach echter und bedingungsloser Liebe Ausschau hält – auch wenn wir das gut verpacken.

Hören wir auf dieses Kind in uns, das auch in schmerzlichen Erfahrungen nicht aufhört, Vertrauen zu fassen,

wenn es nur jemanden hat, zu dem es sagen kann: Du bist ja bei mir!

Zu Jesus kann man das sagen, und zwar auch und gerade, wenn es uns schlecht geht,

wenn sich die kleinen oder großen Missverständnisse einstellen, die niemandem von uns erspart bleiben,

wenn wir hindurch müssen durchs finstere Tal.

Und sicher, dann wird es uns schwerfallen, zu sagen:

Mir wird nichts mangeln.

Aber gerade dann, wenn es uns an vielem oder sogar an allem mangelt,

gerade dann, wenn es uns erbärmlich zumute ist,

dann hat Glaube an den Guten Hirten seine Kraft zu bewähren.

Wer sich dann noch sagen kann „du bist bei mir“,

der sagt das nicht nur zu sich, sondern zu Gott selbst.

Und Gott wird bei ihm sein.

Das ist unser Weg. Er führt auf grüne Auen, nicht nur einmal im Jahr im Frühling, sondern dauerhaft und in Ewigkeit. Amen.Johannes 10, 11-16

Liebe Gemeinde!

I.

Wie lieblich ist der Maien… Wir befinden uns im Frühling. Die Sonne setzt sich mit ihrer milden Wärme durch. Die Natur um herum ist in den schönsten Farben erwacht. Und passend dazu bedenkt die Kirche am Sonntag des Guten Hirten ein wunderschönes Thema. Der zweite Sonntag nach Ostern widmet sich dem verbreiteten und beliebten Bild des Herrn als Hirten. „…. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.“ Und schon finden wir uns – Ostern im Rücken und den Frühling vor Augen – in einer wunderbaren Szenerie wieder. In einer heilen Welt von blühenden Auen und grünen Wiesen, in einer friedlichen Natur und harmonischer Ruhe.

Idyllisch und problemlos, wie wir und das Leben manchmal wünschten.

Idyllisch und problemlos, wie sich viele auch die Wirkungen Gottes wünschten – und deshalb enttäuscht sind.

Das scheinbar problemlose Bild von Jesus findet sich schon in den Katakomben. Oft finden wir da als Bild den Guten Hirten.

Jesus als junger Mann mit Hirtenstab und Lamm.

Dieses Motiv schien den frühen Christen ausgesprochen gut gefallen zu haben. Warum war der Gute Hirte so beliebt?

Zunächst einmal war in der damaligen Kultur das Hirtenmotiv sowieso überall beliebt. Auch die Heiden und sonstigen Römer ließen sich Bilder und Figuren von Hirten aufstellen. Das Motiv war „in“. Der römischer Dichter Vergil schrieb „Hirtengedichte“ und halb Rom malte sich aus, wie es wohl wäre, abseits aller Politik und Arbeit, ein beschauliches Lebens auf dem Lande im Schatten der Bäume und beim Klang der Flöte zu verbringen.

Hirtenleben war „in“ und ist auch heute noch „in“ – auch wenn man die ganze Sache vielleicht viel zu idyllisch und problemlos vorstellt.

Die frühen Christen konnten mit ihrem Herrn als Hirten jedenfalls anknüpfen können an die Mode der Zeit.

Der Gute Hirte war da ein Bild, mit dem man umgehen konnte, das alle irgendwie schön und passend fanden.

Jetzt könnten wir aber auch auf die Idee kommen, dass der Gute Hirte insgesamt auch das schönere und das passendere Bild für den Glauben ist als das Kreuz.

Das Bild vom Hirten ist lieblich, friedlich und ruhig. Es stört nicht.

Während das Kreuz provoziert, Gewalt darstellt und an ein Opfer erinnert,

hören wir beim Guten Hirten die Bienen summen, stellen uns grüne Auen vor und denken an unbeschwertes Landleben – auch wenn die meisten von uns in der Stadt arbeiten.

Wir sehen saftige grüne Auen, ruhig dahinfließendes erfrischendes Wasser, zufrieden blökende Schafe, wohlbehütet und beim Weidewechsel sicher geleitet von ihrem Hirten, der die Herde schützt und zusammenhält.

 

Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.

Das ist ein problemloser alter Psalm. Vielleicht ist er deshalb so beliebt.

Dieser Psalmvers weckt tiefe Zustimmung, er verbreitet Vertrauen.

Der Herr ist mein Hirte.

Das spricht für sich und braucht keine Auslegung.

Das ist schon gut für Kinder. Und das lieben auch die alten Menschen in ihren letzten Tagen.

Zu Recht lernen das unsere Konfirmanden.

Das ist der Gute Hirte und er beschützt mich wie ein Schaf.

 

II.

Aber wir müssen die grünen Auen noch einmal verlassen.

Denn um eine kindlich-süße Idylle geht es hier nicht.

Und auch nicht um eine verträumte Vorstellung einer alt gewordenen Religion, die vielleicht noch gut ist für die  Alten in unserer Gesellschaft und für die ganz Kleinen, die aber nichts bringt für die, die im wahren Leben stehen: sei es in der Schule, in der Arbeitswelt oder in der Politik.

Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen. (Bismarck, H. Schmidt)

Und mit dem Guten Hirten auf grüner Aue schon zweimal nicht.

„Blühende Landschaften“ sollten nicht zu schnell vor Augen gemalt werden.

 

Weder der alte Psalm 23, noch die Selbstbezeichnung Jesu als Guter Hirte sind süßlich und problemlos.

Das wussten die alten Beter des Alten Testaments, denen das finstere Tal nicht fremd war.

Das wussten auch die frühen Christen, die Jesus als Guten Hirten auf die Wände der Katakomben malten oder sich dieses Bild für die Verschlussplatten ihrer Gräber wünschten.

 

Der Gute Hirte steht dem Heiland am Kreuz nicht gegenüber.

Der Gute Hirte ist nicht die sanfte Version für die, die das Leiden ausblenden wollen.

Die Darstellung des Guten Hirten ist keine Alternative zu Jesus am Kreuz, sondern nur ein Bild für dasselbe.

Wenn Jesus sich selbst den Guten Hirten nennt,

dann identifiziert er sich nicht nur in für Juden unerhörter Weise mit dem Gott Israels und gibt dem Hirten aus Psalm 23 ein Gesicht,

sondern dann macht Jesus durch seine Worte klar, wie dieser Hirte ist.

Und da heißt es zuerst:

Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.

Die Hingabe am Kreuz ist hier nicht weggelassen, sondern eingeschlossen.

Dieser Hirte schenkt nicht den Kelch nicht nur voll ein mit dem Wein, den er reichlich hat, sondern dieser Hirte füllt den Kelch mit seinem eigenen Blut, das er schmerzvoll vergossen hat.

Und das ist mehr als eine süße Idylle vom Landleben und grünen Auen.

Das ist ein Hirte mit hohem Einsatz.

Er tut für seine Schafe nicht viel, sondern alles!

 

Dass die Kirche die biblischen Bilder des Guten Hirten in der Osterzeit liest, liegt darum nicht an der wunderbaren Jahreszeit und an der erwachenden Natur!

„Geh aus mein Herz und suche Freud“ – das singen wir im Sommer.

Der Grund für das Hirten-Thema jetzt liegt im Oster-Geschehen, wie es in einem ganz anderen Lied zum Ausdruck kommt:

 

Surrexit pastor bonus
qui posuit animam suam pro ovibus suis
et pro suo grege mori dignatus est.

 

Auferstanden ist der Gute Hirte,

der sein Leben für seine Schafe ließ

und würdig war, für seine Herde zu sterben.

Dieses Responsorium aus dem Mittelalter erkennt in Jesus, der sein Leben gelassen hat und auferstanden ist, die klarste Verwirklichung des Hirtenbildes:

Nicht, weil der Auferstandene über grüne Wiesen schreitet, sondern weil er sein Leben für seine Herde eingesetzt hat.

Wie hatte Jesus gesagt?

„Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Ein schlechter Hirte sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht. Aber ich lasse mein Leben für die Schafe.“ (Joh 10,11.15)

Dieser Hirte beweist seine Stärke nicht in der Idylle grüner Weiden und des Landlebens, wie sich das die antike römische Literatur (Vergils Hirtengedichte) oder Beethoven in seiner Hirten-Symphonie (VI. „Pastorale“) so schön vorstellten.

Dieser Hirte beweist seine Stärke im finsteren Tal.

Diesen Hirten zeichnet nicht seine Sorglosigkeit aus oder sein einfacher Lebensstil, sondern sein Leiden.

Passt diese Information in österliche Freudenzeit?

 

Wenn wir Ostern feiern, würden wir diese schmerzhaften Formulierungen ja gerne hinter uns lassen. Wenn wir an Auferstehung denken, würden wir diese ganze Rede von Leiden, Sünde und Sühne ja gerne wegwischen.

So, als würden wir im Gesangbuch von der Rubrik „Passion“ endlich zur Rubrik „Ostern“ umblättern.

„O Haupt voll Blut und Wunden“ war gestern; heute gilt „Christ ist erstanden“. Gestern hieß es „Miserere“; heute „Halleluja“.

So selten solch ein krasser Stimmungswechsel in unserem gelebten Leben vorkommt, so unpassend ist er für das Schicksal des Guten Hirten!

Der Auferstandene lässt den Tod nicht einfach hinter sich, sondern er bringt uns seine Frucht.

Er hat das Leiden nicht vergessen, sondern trägt noch die Male der Nägel.

Christus hat den Tod nicht hinter sich gelassen, sondern er hat ihn besiegt.

Das Kreuz ist nicht vergangen, sondern ins rechte Licht gestellt!

Persönliches Leid ist nicht weggewischt, sondern wird geheilt.

Die Vorstellung Jesu als Gutem Hirten zeigt uns, dass Ostern kein göttlicher oder menschlicher Stimmungswechsel ist, sondern ein Heilungsgeschehen, ein Erlösungsprozess – vollzogen durch einen Hirten.

Durch seine Wunden sind wir geheilt. Weil er heil wurde, kann auch ich heil werden.

„Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“ –

Das ist kein Sprachbild mehr für die eine oder andere schwere Stunde, sondern meint hier sogar den Tod.

Christus ist dort. Er ist als guter Hirte diesen Weg souverän vorausgegangen. Das heißt Auferstehung. Er führt uns noch da, wo Ärzte, Eltern, Freunde und Partner uns loslassen müssen.

Der österliche Gute Hirte ist kein Frühlings-Idyll, sondern ein echter Retter!

 

 

III.

Und jetzt müssen wir noch über die Unterscheidung reden, die Jesus zwischen einem Hirten und einem Mietling macht.

Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.

Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht…

Ein Mietling ist ein angestellter Hirte, einer der seinen Job macht, aber nicht mehr. Er hat keinen persönlichen Bezug zu den Schafen.

Der Gute Hirte ist der Eigentümer der Schafe. Ihm geht es nicht nur um den Job, ihm geht es um sein Ein und Alles.

 

Wir haben in unserm Leben ein sehr gutes Gespür dafür, wer seinen Dienst als Mietling tut – nur aus Berechnung oder weil er muss, und wer sich wirklich einsetzt.

Der Arzt, der schnell abfertigt, weil er in Gedanken schon bei der nächsten Patientin ist.

Die Lehrerin, die nur immer die gleichen Arbeitsblätter austeilt, und den anstrengenden Fragen der Schüler nicht zuhört.

Der Automechaniker, der möglichst viel in der Rechnung unterbringen will, dem aber egal ist, wie lange der Wagen dann problemfrei fährt.

Die Kleiderverkäuferin, die schnell zum gesuchten Kleid noch passende anderes Accessoires vorschlägt, ohne wirklich zu spüren, ob der Kundin das Kleid wirklich gefällt.

Wir kennen Sie alle, die Mietlinge unserer Lebenswelt.

Aber es gibt auch die anderen:

Die Ärzte, die wirklich Anteil nehmen am Schicksal ihrer Patienten, die ein echtes Gespür haben, wo das nötig ist und wo nicht.

Die Lehrerinnen, die sich nicht nur für die Noten und Aufgaben interessieren, sondern für das Lebensglück ihrer Schüler.

Die Erzieherinnen, deren Engagement nicht beim Ende der Betreuungszeit aufhört und deren Gedanken auch noch nach Dienstschluss bei manchem Kind sind.

Die Geschäftsleute, die ehrlich sind, und auch einmal auf ein Geschäft verzichten, wenn sie erkennen, was der Kunde wirklich braucht.

 

Wir haben alle, liebe Gemeinde,

ein feines Gespür dafür, wer nur seinen Job macht, und wer sich wirklich um uns kümmert.

Und damit verstehen wir die Unterscheidung, die Jesus macht: zwischen Mietling und Guten Hirten.

Und wenn es um unser Leben geht, sollten wir uns ganz klar dem anvertrauen, der es ernst meint:

Jesus ist der Gute Hirte. Er machte nicht irgendeinen Job, sondern er gab sein Leben.

 

Und damit gewinnt das alte Wort vom Guten Hirten auch nochmal an Kontur.

Ein kluger Hirte berechnet Kosten und Nutzen.

Ein kluger Hirte will auch kein Schaf verlieren, weil es seinem Besitz dann fehlt.

Ein kluger Hirte wird seine Schafe auch regelmäßig zählen, weil er keinen Verlust haben will.

Ein kluger Hirte wird seine Schafe auch auf grüne Weide führen, weil er will, dass sie sich gut ernähren und kräftig wachsen.

Aber er macht das aus kluger Berechnung.

 

Jesus ist kein kluger Hirte, sondern ein guter Hirte.

Er überschreitet für seine Schafe sogar das Limit.

Er bewahrt sie nicht nur vor dem tödlichen Abgrund, sondern er stürzt sich selber in den Abgrund, um seine abgestürzten Kreaturen wieder zu holen.

Klug sieht anders aus.

Das ist mehr als Berechnung. Das ist Liebe.

Und deshalb hat dieser Gute Hirte unser Vertrauen verdient.

Das Vertrauen der Kinder, die sich an dieses Bild klammern.

Das Vertrauen der Alten, die mit diesem Bild vor Augen sterben können

Und, liebe Erwachsenen, das Kind in uns, das immer nach echter und bedingungsloser Liebe Ausschau hält – auch wenn wir das gut verpacken.

Hören wir auf dieses Kind in uns, das auch in schmerzlichen Erfahrungen nicht aufhört, Vertrauen zu fassen,

wenn es nur jemanden hat, zu dem es sagen kann: Du bist ja bei mir!

Zu Jesus kann man das sagen, und zwar auch und gerade, wenn es uns schlecht geht,

wenn sich die kleinen oder großen Missverständnisse einstellen, die niemandem von uns erspart bleiben,

wenn wir hindurch müssen durchs finstere Tal.

Und sicher, dann wird es uns schwerfallen, zu sagen:

Mir wird nichts mangeln.

Aber gerade dann, wenn es uns an vielem oder sogar an allem mangelt,

gerade dann, wenn es uns erbärmlich zumute ist,

dann hat Glaube an den Guten Hirten seine Kraft zu bewähren.

Wer sich dann noch sagen kann „du bist bei mir“,

der sagt das nicht nur zu sich, sondern zu Gott selbst.

Und Gott wird bei ihm sein.

Das ist unser Weg. Er führt auf grüne Auen, nicht nur einmal im Jahr im Frühling, sondern dauerhaft und in Ewigkeit. Amen.

 

GEBET

Wo kein Weg ist,
siehst du unseren Weg,
ewiger Gott,
unser Hirte.
Wo wir nicht weiterwissen,
bist du die Kraft, die uns ins Weite führt.

Der du alle Wege siehst und kennst,
sei bei denen,
die ihre Orientierung verloren haben,
die sich selbst fremd geworden sind,
die keinen Sinn mehr sehen in ihrem Lebensgang,
Schritt für Schritt,
und alles ist zu schwer,
alles ist zu schnell und zu wirr,
für alles fehlt die innere Kraft.
Guter Hirte, erbarme dich.

Der du alle Wege siehst und kennst,
sei bei denen,
die sich abschotten,
abdichten gegen die Unruhe in sich selbst,
gegen die Sehnsüchte und Träume,
die in den Winkeln der Seele leben,
gegen deine Stimme in ihrem Herzen,
die sie zum Aufbruch
und zur Suche nach der eigenen Wahrheit ruft.
Guter Hirte, erbarme dich.

Der du alle Wege siehst und kennst,
sei bei denen,
die im Krieg sind,
die nicht aufschauen können,
die wie Maschinen kämpfen, töten, verfolgen
auf der Flucht nach vorn
vor der Ohnmacht und dem Takt der Befehle.
Herr, unser Hirte, erbarme dich.

Der du alle Wege siehst und kennst,
sei bei denen,
deren Blicke brechen,
die den letzten Schritt vor sich haben,
den sie nicht gehen können und doch gehen müssen,
sich lassen,
fallen lassen in deine Hand.
Guter Hirte, nimm sie auf.

Der du alle Wege siehst und kennst,
sei bei denen,
die gehen und zweifeln und gehen und glauben
und schauen zum Horizont,
wo du beginnst,
wo du aufscheinst
jenseits aller unserer Möglichkeiten,
das aufgehende Licht aus der Höhe.
Herr, erbarme dich.

Wo kein Weg ist,
siehst du unseren Weg,
ewiger Gott,
unser Hirte.
Wir bergen uns in dir und beten mit Jesu Worten:
Vater unser

Misericordias Domini – Pfr. Dr. Jonas