Jer 16,16-21
Liebe Gemeinde,
das Fest für Petrus und Paulus fällt in diesem Jahr auf einen Sonntag. Das ärgert
Arbeitnehmer in Rom, denn sie haben dadurch einen freien Tag weniger, aber es freut uns als
Gemeinde, denn das im evangelischen Bereich sonst eher selten gefeierte Fest bekommt
dadurch zusätzliche Würde und Gewicht.
Aber bei uns hat es diese Würde ja ohnehin, denn es ist ein römisches Fest, vielleicht das
römischste unter allen christlichen Festen, und damit natürlich auch unser Fest, ein Fest
unserer römischen Gemeinde.
Ich betone das Römische, um zu sagen: es ist römisch-christlich und nicht nur römisch-
katholisch. Dennoch ist es nicht so ganz einfach für evangelische Predigerinnen und Prediger.
Es gibt eine Art natürlichen Instinkt, unwillkürlich zwei Operationen vorzunehmen: Erstens
mehr Paulus als Petrus. Und zweitens mehr die Lehre als die Person.
Warum ist das so? Das hat verschiedene Gründe. Einer davon ist ganz einfach, dass wir über
das Denken von Paulus mehr wissen als über das von Petrus. Denn Paulus hat eine Reihe von
Briefen geschrieben, die für die christliche Lehre sehr wichtig sind. Und mehr noch: Sie sind
speziell für das evangelische Christentum grundlegend. Es verläuft gefühlt eine direkte Linie
von Paulus zu Luther und von dort zu uns.
Ein anderer Grund ist natürlich, dass Petrus als Person untrennbar verbunden ist mit dem
Petrusamt und all den Debatten, die damit zusammenhängen.
Also: oft mehr Paulus als Petrus und mehr Lehre als Person.
Beides funktioniert in diesem Jahr nicht. Das liegt am Predigttext. Die Ordnung unserer
Kirche sieht in diesem Jahr einen Text aus dem Alten Testament für die Predigt vor. Darüber
habe ich mich im ersten Moment etwas gewundert, denn: Petrus und Paulus im Alten
Testament – wie soll das gehen? Die gab es doch da noch gar nicht.
Wir haben den ausgesuchten Text gerade als Lesung gehört. Er stammt vom Propheten
Jeremia und beginnt so: „Siehe, ich will viele Fischer aussenden, spricht der HERR, die sollen
sie fischen.“ In einem ersten Moment habe ich gedacht: Die einzige Verbindung zu unserem
heutigen Fest ist das Stichwort „Fischer“. Gewiss, das geht auf Petrus, denn er war auch
Fischer. Aber allein mit diesem Stichwort ist die Verbindung doch eher oberflächlich.
Immerhin: Wir müssen vor allem über Petrus sprechen (und nicht Paulus), und wir müssen
über die Person sprechen (und nicht irgend eine Lehre). Denn von einer Lehre des Fischers ist
hier keine Rede, und tatsächlich arbeitet ein Fischer nicht durch Lehre, sondern durch seinen
Einsatz. Das gilt übrigens auch für die Menschenfischer, die das Evangelium nennt und die
letzten Endes wohl auch hier gemeint sind.
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Der Text ist aber nicht nur oberflächlich durch das Stichwort Fischer mit Petrus verbunden. Es
ist vor allem der zweite Teil, der es in sich hat. In meiner Bibel hat er eine
Zwischenüberschrift, die lautet: „Die Völker werden Gott erkennen“, und darum geht es in
der Tat.
Da kommt eine Tonalität ins Spiel, bei der uns erst einmal nicht recht wohl ist. „Die Völker
werden zu dir kommen von den Enden der Erde und sagen: Nur Lüge haben unsere Väter
gehabt, nichtige Götter, die nicht helfen können.“ Nein, da ist uns nicht wohl. Denn natürlich
spricht der Prophet aus der Sicht des eines Volkes, des wahren Volkes, des Volkes Israel, und
das heißt ja im Klartext: Deine Götter sind nichtig, denn mein Gott ist richtig.
Wollen wir es zuspitzen und sagen: Du, Muslim, du, Katholik, du, Waldenser, du hast aufs
falsche Pferd gesetzt. Denn nur unser Gott ist der wahre Gott. Es ist uns nicht wohl bei so
einer Rhetorik, denn das wird gleich eine Rede der Unduldsamkeit, der Überheblichkeit und
in letzter Instanz vielleicht auch der Gewalt.
Es ist uns nicht wohl bei der Sache, aber dennoch kommt ein Thema ins Spiel, dem wir nicht
ausweichen können und nicht ausweichen sollten. Denn wenn wir das alles auf Petrus
beziehen und dabei über Petrus nachdenken, dann denken wir plötzlich nicht nur über eine
Person nach, nämlich: über eine historische Person, die vor vielen Jahrhunderten gelebt hat
und uns dadurch doch auch irgendwie fremd und fern ist. Sondern wir denken auch über eine
Funktion nach. Über die Frage, was diese Person bleibend bewirkt und wie sie das
Christentum, auch unseren christlichen Glauben prägt.
Denn dieser prophetische Text hat ja nur dann etwas mit Petrus und Paulus zu tun, wenn wir
darin etwas gespiegelt sehen von deren Dienst und Einsatz. Und nicht nur die
Berufsbezeichnung „Fischer“.
„Die Völker werden Gott erkennen“. Sagen wir es doch gleich einmal so direkt und
unumwunden wie möglich: Es geht um einen universellen Predigtauftrag. Oder wenn Sie es
noch direkter wollen: Es geht um universelle geistliche Leitung.
Da ist uns noch einmal und erst recht nicht wohl bei der Sache. Es gibt ein tief sitzendes (und,
wie ich finde: durchaus gesundes) Misstrauen im Protestantismus gegen solche universelle
Leitung. Von einem „Petrus-Amt“ einmal gar nicht zu sprechen. Das hat seinen Grund in dem
genannten Potenzial zur Überheblichkeit, zur Unduldsamkeit und zur Gewalt.
Wer bin ich denn, dass ich die ganze Welt beseligen muss? Wer erlaubt mir, schlecht über die
Götter der anderen zu sprechen? Wer autorisiert mich, alle Völker unter meine geistliche
Leitung zu bringen? Ist gerade dies nicht einer der ganz problematischen Aspekte des
Christentums?
Wenn wir uns einmal ein Stück weit darauf einlassen, dass Petrus und das römische Petrus-
Amt miteinander zu tun haben, dann wird man sagen müssen: Solche Bedenken sind nicht
gänzlich an den Haaren herbeigezogen. Mag der jetzige Nachfolger Petri sein Pontifikat auch
noch so sehr mit dem Wort des Friedens begonnen haben und unter das Thema des Friedens
gestellt haben – seine Vorgänger haben es nicht immer, ja, sie haben erschreckend oft das
Gegenteil getan. Mein Fachgebiet ist Kirchengeschichte, und ich weiß, wovon ich rede.
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Und doch denke ich, dass wir uns der Frage stellen sollten, ja, dass wir uns ihr stellen müssen.
Denn dem Protestantismus ist als Alternative oft nichts Besseres eingefallen, als sich im
Partikularen und Provinziellen zu verstecken: unser Hauskreis, die Ortsgemeinde, das
Dekanat, und wenn wir ganz kühn sein wollen: eine Landeskirche.
Aber das genügt doch nicht! Dass wir eine Welt sind und eine Menschheit in einer globalen
Gesellschaft. Und dass wir eine Friedensordnung brauchen: das sind doch alles nicht nur
ökonomische und politische Fakten, sondern es sind auch religiöse Fakten. Und man muss
doch fragen, was die anderen Völker für Götter haben und wie sie sie verehren. Vorsichtig
und taktvoll fragen, natürlich.
In 14 Tagen darf ich in München im Universitätsgottesdienst predigen. Ich würde sie am
liebsten alle dorthin einladen. Denn da habe ich einen der großartigsten Texte des Alten
Testaments als Predigttext. Es ist die Völkerwallfahrt zum Zion bei Jesaja und Micha. Alle
Völker werden sagen: Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des Herrn. Und weiter: „Da
werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird
kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen,
Krieg zu führen.“ (Jes 2,5)
Es ist eben nicht so, dass der Ausgriff ins Universelle zwangsläufig zum Krieg führen muss,
im Gegenteil. Es ist ein Weg des Friedens.
Und wenn wir genau lesen, sagt das Gleiche auch unser heutiger Predigttext. Denn da ist nicht
davon die Rede, dass wir den anderen unsere Wahrheitsansprüche überstülpen müssen.
Sondern die Völker kommen von sich aus, wir alle kommen und bekennen, wo es bei uns
gefehlt hat. Die Lösung ist nicht unsere universelle Predigt und Leitung. Sondern die Lösung
steht im letzten Vers: „Darum siehe, diesmal will ich sie lehren und meine Kraft und Gewalt
ihnen kundtun, dass sie erfahren sollen: Ich heiße der HERR.“
Dem ist eigentlich nichts zuzufügen. Außer vielleicht als letzte Fußnote dies: Wir müssen
keine Angst haben vor universeller Leitung, auch nicht vor einem universellen Petrus-Amt.
Im Gegenteil, es ist eine große Chance für Frieden und Verständigung. So lange uns klar ist:
Wir sind es nicht, und Petrus ist es nicht, der die Völker bekehrt, sondern der, der spricht: Ich
will sie lehren und meine Kraft und Gewalt ihnen kundtun, dass sie erfahren sollen: Ich heiße
der HERR. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und
Sinne in Christus Jesus. Amen.