2. Korinther 4,14-18

Wir wissen, dass der, der den Herrn Jesus auferweckt hat, mit Jesus auch uns auferwecken und gemeinsam mit euch vor sich hinstellen wird. Denn das alles geschieht um euretwillen, damit die Gnade wachse durch viele und so die Danksagung reichlich überfließe zur Ehre Gottes.

Darum verzagen wir nicht; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn die Last unserer Bedrängnis ist vorübergehend und leicht und schafft uns eine über alle Maßen hinausreichende, ewige Herrlichkeit, weil wir nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare schauen. Denn das Sichtbare ist zeitlich; das nicht Sichtbare aber ist ewig.

 

Die Selbstoptimierung des Körpers, liebe Gemeinde, hat in unseren Zeiten Konjunktur. Angefeuert durch Hochglanzbroschüren; beworben durch Schönheitssalons und Geschäfte, die Nahrungsergänzungsmittel verkaufen; weithin sichtbar in den großen Schaufenstern der Fitnessstudios, die körperliche Leistungsfähigkeit und attraktives Aussehen auch noch im Alter versprechen. All das vermittelt eine Lebenseinstellung, mit der man möglichst lange gesund und aktiv durchs Leben gehen kann. Es handelt sich um ein Phänomen unserer Zeit, das zu einem wesentlichen Teil auf die Einsichten und Fortschritte zurückzuführen ist, die die medizinische Forschung der letzten Jahrzehnte zu verzeichnen hat. Es ist in der Tat erstaunlich und faszinierend, was durch kompetente Ärzte, verfeinerte Therapien und psychologische Programme alles möglich geworden ist. Noch vor einigen Jahrzehnten, gar in früheren Jahrhunderten, hätte man davon nur träumen können. Älterwerden bedeutet heute längst nicht mehr, dass man keine Aufgaben mehr finden und nichts mehr leisten könnte. „Senioren“ sind heutzutage Menschen, die etwas vorhaben in ihrem Leben, Aufgaben übernehmen in Familie, Kirche oder Gesellschaft, die reisen, sich bilden, Kontakte pflegen und für die der sogenannte „Ruhestand“ nicht bedeutet, dass sie sich tatsächlich „zur Ruhe setzen“ würden. Begriffe wie „Ruhestand“ oder „Senioren“ können mitunter sogar unpassend oder befremdlich wirken. Als meine Frau und ich im März auf Malta im Urlaub waren, stellten wir zu unserem Erstaunen fest, dass wir mit Anfang 60 in nahezu allen Museen, Kirchen usw. ein Seniorenticket erwerben konnten. Und ich habe manchmal gedacht, es könnte mich ja mal jemand fragen, ob ich tatsächlich schon über 60 bin. So sind wir, schneller als wir es für möglich gehalten hätten, zu „Senioren“ geworden. Aus der Sicht unserer Enkel sind wir es wahrscheinlich sowieso.

Wir können uns freuen und dankbar dafür sein, dass körperliches und geistiges Wohlbefinden heute länger möglich sind, als das in früheren Zeiten der Fall war. Die Fixierung auf einen gesunden, starken und schönen Körper birgt aber auch eine Gefahr. Sie birgt die Gefahr, dass wir das, was unser Leben ausmacht, ganz im Hier und Jetzt suchen; dass wir unseren Körper nicht mehr als eine Gabe Gottes verstehen, mit der wir verantwortlich umgehen sollen, solange wir auf dieser Erde leben; dass unser Körper, unsere irdische Existenz, aber auch nicht alles ist, was unser Dasein als Geschöpf Gottes ausmacht.

Darum geht es im heutigen Predigttext, das ist das Thema des heutigen Gottesdienstes insgesamt. Die biblischen Texte sprechen von Schöpfung und von Neuschöpfung. Die Lesung aus dem Alten Testament, die wir vorhin gehört haben, steht ganz am Anfang der Bibel. Himmel und Erde und auch wir Menschen sind von Gott geschaffen. In dieser Perspektive steht alles, was danach in der Bibel folgt. Man sollte den Bericht über die Erschaffung der Welt und des Menschen nicht als naive Vorstellung belächeln oder als überholte Weltsicht abtun. Die Welt und uns selbst als Gottes Schöpfung zu verstehen – das bedeutet: Alles, was uns umgibt – die Pflanzen, die Tiere, Wasser, Erde, Luft – ist nicht einfach Verfügungsmasse, mit der machen könnten, was wir wollen. Es ist uns vielmehr gegeben, damit wir verantwortlich damit umgehen. Wie wichtig das ist, steht uns deutlich vor Augen, wenn wir auf die Gefahren für das Klima schauen und uns den häufig wenig sensiblen Umgang mit Pflanzen und Tieren vor Augen führen. Und uns selbst als Geschöpfe Gottes zu verstehen, lässt uns dankbar und gelassen werden. Dankbar dafür, dass wir Lebenszeit geschenkt bekommen haben, die wir ausfüllen dürfen. Gelassen, weil wir wissen: Unser Leben steht im größeren, im umfassenden Zusammenhang dieser Welt, die Gott uns gegeben hat, damit wir sie bebauen und bewahren. Auch wir selbst sind ein Teil von Gottes Schöpfung, dürfen eine Zeitlang auf dieser Erde sein, uns an ihr erfreuen, zu ihrer Gestaltung beitragen.

Und es gibt noch einen zweiten wichtigen Aspekt in den Texten des heutigen Gottesdienstes. Sie sprechen nicht nur von Schöpfung, sondern auch von Neuschöpfung. Schon im Wochenspruch heißt es, dass wir in Christus eine „neue Schöpfung“ geworden sind. Das Alte ist vergangen, alles ist neu geworden.

Der Predigttext vertieft diese Sicht auf uns Christen als „neue Schöpfung“. „Der äußere Mensch verfällt“ heißt es dort. Das ist eine sehr realistische Sicht. Unsere körperliche Existenz vergeht, wird im Lauf der Jahre verbraucht, geht stetig auf ihr irdisches Ende zu. Diese Erfahrung machen wir alle früher oder später. Unser irdisches Dasein ist begrenzt, trotz aller Fitnessprogramme, trotz allen medizinischen Fortschritts. Zugleich aber, das stellt der Predigttext sofort daneben, wird unser „innerer Mensch“ stetig erneuert. Der „innere Mensch“ ist derjenige Teil von uns, der auf die Herrlichkeit zugeht, die Gott für uns bereithält. Jetzt, im irdischen Leben, können wir sie noch nicht sehen, aber wir dürfen bereits gewiss sein, dass unser irdisches Dasein umfangen ist von Gottes Fürsorge für uns, die weiter reicht als die vergängliche, körperliche Existenz. „Äußerer“ und „innerer Mensch“ – diese beiden Seiten unseres Daseins gehören zusammen. Der äußere Mensch – das ist der Körper, mit dem wir unser Leben auf dieser Erde führen dürfen. Der innere Mensch dagegen umfasst unsere gesamte Existenz als Geschöpfe Gottes. Und die reicht über unser irdisches Dasein hinaus. Als Geschöpfe Gottes sind wir nicht auf die vergängliche, körperliche Existenz begrenzt. Wir leben vielmehr aus der Gewissheit, dass Gott den Tod überwunden hat, dass seine Macht größer ist als Tod und Vergänglichkeit, Leid und Angst.

Schauen wir so auf unser Dasein, dann müssen wir uns nicht an den irdischen Körper klammern, müssen nicht alle Kräfte aufbieten, um dem körperlichen Verfall mit Fitnessprogrammen und Nahrungsergänzungen zu wehren. Wenn wir uns als Geschöpfe Gottes im Licht der Osterbotschaft verstehen, rückt das unsere irdische Existenz vielmehr in ein neues Licht. Unsere begrenzte Zeit auf dieser Erde steht im größeren Horizont des Glaubens an Gott, der stärker ist als der Tod. Vergängliches und Bleibendes, Zeit und Ewigkeit, werden so auf neue Weise zueinander ins Verhältnis gerückt. „Lehre uns, unsre Tage zu zählen, damit wir ein weises Herz gewinnen“, so heißt es im Psalm 90. Luther hat übersetzt: Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf das wir klug werden.“ Die Einsicht in die Begrenztheit unseres irdischen Daseins lässt uns klug werden, das ist eine wichtige Einsicht, die wir in der Bibel finden.

Die Erneuerung des „inneren Menschen“, von der unser Predigttext spricht, hat ihren Grund in der Auferstehung Jesu Christi, die auch unsere eigene Auferweckung verbürgt. Gott hat Jesus auferweckt, er wird auch uns auferwecken, so heißt es gleich am Beginn des Textes. Darum gehört dieser Text in die Osterzeit, darum ist er selbst ein Ostertext. Er feiert die Auferweckung Jesu als etwas, das unserem Leben eine neue Ausrichtung gibt. Auferstehung – das bedeutet: Leid und Tod haben nicht das letzte Wort; es gibt eine Hoffnung, die stärker ist als alle Angst, die Hass und Gewalt überwindet, die der Verzagtheit und Mutlosigkeit widersteht, die uns manchmal überfällt.

„Auferstehung“ – auch das sollten wir nicht als eine überholte Auffassung abtun, als etwas, das nicht in unsere moderne Welt passt. Der Glaube an die Auferstehung stellt unser Leben in den weiten Horizont der Welt und des Menschen als Gottes Schöpfung. Auferstehung ist keine naive Vorstellung davon, dass tote Menschen wieder aus ihren Gräbern kommen. Solche Erzählungen in der Bibel sind vielmehr Veranschaulichungen der Überzeugung, dass unser irdisches Dasein nur ein Teil unserer Existenz als Gottes Geschöpfe ist. Unser Existenz auf dieser Erde ist umfangen von Gottes Macht, die über unseren physischen Tod hinausreicht, das sagt der Glaube an die Auferstehung Jesu und die Auferstehung derer, die zu Jesus gehören.

„Darum verzagen wir nicht“, heißt es im Predigttext. Das folgt für Paulus aus der österlichen Gewissheit, dass sich Gott als der Gott des Lebens erwiesen hat. Die Auferweckung Jesu stellt der Sorge, mit dieser Welt und mit unserem Leben könne es ein böses Ende nehmen, die Gewissheit gegenüber, dass Gott seine gute Ordnung durchsetzen wird. Der Befürchtung, wir wären den Beschwerden unseres irdischen Daseins schutzlos ausgeliefert, stellt die Auferweckung Jesu die Hoffnung auf die Erlösung von allem Leid und aller Traurigkeit gegenüber. Die Osterbotschaft lädt uns dazu ein, uns einzulassen auf die verwandelnde Kraft Gottes. Sie lädt uns ein, nicht zu verzagen, auch und gerade angesichts der Nachrichten über Kriege und Zerstörungen, die uns in diesen Wochen und Monaten immer wieder erschüttern – aus der Ukraine und in zunehmend besorgniserregender Weise aus Israel und der ganzen Region im Nahen Osten. Gerade in einer solchen Zeit ist es wichtig, dass wir aus dem Glauben an den Gott leben, der Herr ist über Leben und Tod; dass wir aus der Zuversicht auf seine erneuernde, verwandelnde Kraft leben, die er in der Auferweckung Jesu von den Toten erwiesen hat; dass wir die Hoffnung nicht sinken lassen auf eine Welt, in der die Menschen in Frieden miteinander leben, in der Hass und Gewalt überwunden werden.

Die Botschaft von der Auferstehung lehrt, die Welt mit neuen Augen zu sehen. Sie öffnet eine tiefere Sicht auf unser Leben, vermittelt Hoffnung und Zuversicht, auch wenn wir wissen – und oft auch ganz konkret in unserem Körper spüren –, dass unser Dasein auf dieser Erde begrenzt ist. Die Osterbotschaft verändert den Blick auf unser Leben, stellt es in den Horizont der verwandelnden Kraft Gottes. Darum hat es etwas gedauert, bis die ersten Osterzeugen erkannten, dass Jesus, der ihnen nach seinem Tod wieder als Lebendiger erschien, derselbe war, den sie schon zuvor gekannt hatten. Er war derselbe – und doch anders: ein Lebender, dem der Tod nichts mehr anhaben kann, der den Tod besiegt hat und der auch das Leben derer, die aus der Kraft seiner Auferweckung leben, in eine neue Perspektive rückt.

Christlicher Glaube gründet auf der Überzeugung, dass Tod und Vernichtung nicht das letzte Wort haben; dass Gott uns nicht allein lässt, gerade dann, wenn es schwer wird in unserem Leben, wenn Angst und Trauer übermächtig werden, wenn es keinen Ausweg mehr zu geben scheint.

Die Osterbotschaft verleugnet nicht unsere Ängste, sie überspielt nicht die Katastrophen, die unsere Welt erschüttern. Paulus führt uns eindrücklich vor Augen, wie der Glaube an Gott, der stärker ist als der Tod, gerade in Verzweiflung, Not und Bedrängnis seine Kraft entfaltet. Paulus hat selbst Verfolgungen, Ängste und Bedrohungen erlebt. Aber er war gewiss, dass Gott ihn nicht allein lässt, dass sich seine Kraft gerade in der menschlichen Schwachheit erweist und ihn trägt. Die Erfahrung von Ostern ist darum kein verzagtes „Es muss eben irgendwie weitergehen“. Es ist die Gewissheit, dass wir nicht auf uns selbst gestellt sind, dass Gott diese Welt trägt, dass er sie erneuern und seine gute Ordnung durchsetzen wird.

Ostern ist darum die Feier der verwandelnden Kraft Gottes, die gegen die negativen und zerstörerischen Kräfte dieser Welt steht. Die ersten Osterzeugen haben das in überwältigender Weise erfahren. Das hat ihnen die Augen geöffnet und sie haben verstanden, dass Gott sie nicht im Stich lässt, dass es einen neuen Anfang gibt, dass das Leben über den Tod gesiegt hat. Paulus hat verstanden, dass die Osterbotschaft eine neue Schöpfung ist. Gott hat gehandelt wie damals, als er die Welt erschaffen hat. Er hat noch einmal Leben hervorgebracht aus dem Chaos, hat die Mächte der Finsternis durch das Licht seiner Schöpfermacht zurückgedrängt.

Schöpfung und Neuschöpfung – sie stehen in einem engen Zusammenhang miteinander. In der Auferweckung Jesu von den Toten hat Gott dieser Welt seine unverbrüchliche Treue zugesagt. Er hat uns versichert, dass das helle Licht des ersten Schöpfungstages auch am Ende scheinen wird, wenn Gott diese Welt in einen neuen Glanz tauchen und alle unsere Ängste und Sorgen beenden wird.

Und so dringt die Osterbotschaft auch in diesem Jahr zu uns. Sie ruft uns zu, dass nicht Tod und Schrecken das letzte Wort haben werden; dass das Leben den Tod überwindet; dass wir die Herrlichkeit erwarten, die Gott für diese Welt bereithält. Darauf dürfen wir vertrauen, daraus dürfen wir leben. Amen.

Jubilate – Prof. Dr. Jens Schröter